1. Presseschau
La la la la la la la Layla
Der Sommer hat seine Sexismus-Debatte. Seit mehreren Wochen ist das Party-Lied „Layla“ von DJ Robin und Schürze auf Platz 1 der Charts. Das Lied über ein Bordell ist beliebt auf den Urlaubsinseln, in Festzelten und auf Partys. Besungen wird die Bordellchefin Layla: „Ich hab ’nen Puff und meine Puffmama heißt Layla, sie ist schöner, jünger, geiler.“ Das Lied sei handwerklich genau richtig gemacht, sagt der Musik-Experte Markus Henrik dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: Ein Tempo von 140 BPM sei perfekt: „Das ist so schnell, wenn da jemand beim Springen, Tanzen alkoholbedingt aus dem Takt kommt, fällt das gar nicht auf.“ Auch die Akkordfolge trage zum Erfolg bei: „Der Song hat vier Akkorde, die im Kreis laufen: g-Moll, Es-Dur, Bb-Dur, und F-Dur. Und die Hookline, also der Refrain, ist sehr diszipliniert geschrieben. Eine leicht absteigende Melodie innerhalb einer Oktave, die jeder mitsingen, pardon, mitgrölen kann.“ Die Produktion sei modern, „da ist wenig Muff drin.“
Im Netz regt sich Kritik: Sexistisch sei er, frauenfeindlich, in Zeiten von MeToo absolut fehl am Platz. Mehrere Veranstalter von Volksfesten haben das Lied entweder verboten oder auf die Schausteller eingewirkt, es nicht zu spielen. „Familientauglichkeit“ heißt das Zauberwort, da passt ein Bordell-Lied nicht hinein. Es gibt aber auch Kritik an der Kritik. Zensur eines Ballermann-Hits? Das wird im besten Fall als albern, häufiger als übergriffig verstanden. Der Schlager- und Stimmungssänger Tobee findet das Verbot lächerlich: „Das ist das, was Deutschland hört, und wenn dann jemand vom Rathaus eingreift, muss man sich fragen, ob es ein Eingriff in das freie Entfaltungsrecht der künstlerischen Tätigkeiten ist,“ sagte er der Bild. Und auch Bundesjustizminister Marco Buschmann wunderte sich auf Twitter: „Man muss Schlagertexte nicht mögen. Man kann sie sogar doof oder geschmacklos finden. Sie aber behördlich zu verbieten, finde ich, ist eins zuviel.“ (spiegel.de, twitter.com, bild.de, rnd.de)
Russische Sprache und Musik in Georgien unerwünscht
Für russische Urlauber ist die georgische Hauptstadt Tiflis ein beliebter Ferienort . Russische Melodien und Lieder sollen die Touristen in die Lokale locken. Einige Wirte lehnen nun jedoch diese Musik und Sprache in ihren Lokalen ab. Der Vorsitzende des georgischen Gaststättenverbands Shota Burjanadze erklärt, dass in seinen Bars und Restaurants keine russsische Musik mehr gespielt werde und auch das Personal sei dazu angehalten mit russischen Gästen nur noch Englisch zu sprechen. Er begründet die Entscheidung als „Ausdruck unseres Protests. Wir wollen die Russen loswerden und uns von der russischen Mentalität entfernen.“ Die Abkehr von russisch-sprachiger Unterhaltung war zuletzt Teil der landesweiten Kampagne „Turn off Russian“ – „Schalten Sie Russisch ab“. Rund 20 Prozent des georgischen Hoheitsgebiets, Abchasien und Südossetien, sind seit des Kaukasuskriegs 2008 von Russland besetzt. Die Bürger der Hauptstadt sehen die Kampagne und die Entscheidung der Wirte mit gemischten Gefühlen. (euronews.com)
2. Gendersprache
Kein Kläger – kein Richter
Üblich ist es an Universitäten schon länger: Gendern. Obwohl es nicht den Regeln der deutschen Rechtschreibung entspricht, werden Unis nicht müde, sich entweder Leitfäden zu geben oder das Gendern in der Kommunikation einfach einzuführen. Eine schlechtere Benotung im Falle des Nicht-Genderns ist aber nur in einem sehr engen Rahmen zu rechtfertigen, praktisch nur, wenn das Gendern zum Lehrstoff gehört. Das scheint aber viele Dozenten nicht zu stören, denn sie bewerten Studenten regelmäßig schlechter. Das zeigen sowohl die Rückmeldungen in der VDS-Geschäftsstelle als auch in den sozialen Medien. Dennoch wehren sich Studenten nur selten, auch weil es schwierig ist, einen Verstoß gegen geltende Regeln nachzuweisen, schreibt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). „Wer sich wehrt, macht sich unbeliebt, deswegen wehrt sich kaum einer“, sagt ein Berliner Verwaltungsrichter. Außerdem sei es problematisch, die schlechtere Notengebung aufgrund des Nicht-Genderns zu beweisen. Da komme es darauf an, wie der Prüfer seine Benotung begründe – wenn er nicht ausdrücklich hineinschreibt, dass es Punktabzug gab, weil nicht „geschlechtersensibel“ formuliert wurde, wird es schwierig, so die NZZ. Der Augsburger Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner findet deutliche Worte: „Die Bewertung einer Arbeit als schlechter, als sie eigentlich vom Inhalt wäre, allein deswegen, weil nicht gegendert wurde, ist rechtswidrig“, sagt er. Auch der Regensburger Staatsrechtler Alexander Tischbirek sieht die grundsätzliche Forderung nach Gendern in Uni-Arbeiten skeptisch – und das, obwohl er selbst auch gendert. Die Wissenschaftsfreiheit habe Verfassungsrang und unterliege nahezu keinen Schranken. Diese Freiheit umfasse auch die Entscheidung jedes Einzelnen, der eigenverantwortlich arbeitet – etwa ein Student, der seine Diplomarbeit schreibt –, zu wählen, wie er formuliert.
Die NZZ betont den wichtigsten Aspekt: Bei Prüfungen handelt es sich um Eingriffe in das Grundrecht. „Sie beschränken zum Beispiel das Grundrecht der Berufswahl. Ohne Meisterprüfung kann niemand einen Friseursalon oder eine Tischlerei eröffnen, analog gilt das für Abschlüsse im akademischen Bereich.“ Als aufmerksamer Leser könnte man das so verstehen: Solche Eingriffe in das Grundrecht wären zwar noch kein Berufsverbot, aber der erste Schritt in diese Richtung. (nzz.ch)
Gendern in der Rechtssprache
Die Rechtsprofessorin Anna Katharina Mangold erklärt im Podcast „Allein unter Juristen“, dass sich Gesetze immer an die Bürger richten und sich diese somit alle angesprochen fühlen sollen. Mangold ist Professorin für Europarecht in Flensburg und einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die feministische Rechtswissenschaft. In dem Podcast untersucht sie zusammen mit der Moderatorin Beate Hinrichs die Frage, ob die Verfassung das Gendern nicht sogar verlange. Mangold setzt sich dafür ein, dass in der Verfassung gegendert wird, da sie „das Gründungsdokument einer politischen Gemeinschaft“ aller Bürger sei. Weiterhin begründet sie, Rechtssprache sei nie statisch gewesen. Als Beispiel führt sie das Bürgerliche Gesetzbuch an, welches ab 1990 im Sinne der Nationenbildung neu geschaffene deutsche Begriffe einführte. „Das macht Demokratie aus“, begründet die Professorin. (lto.de)
Bluthochdruck wegen Gendersprache
Den Österreichischen Rundfunk (ORF) erreichte eine besondere Beschwerde. Ein Zuschauer kritisierte, dass er von der verwendeten Gendersprache eines öffentlich-rechtlichen Senders Bluthochdruck bekomme. Der Zuschauer führte aus, durch die Verwendung des Binnen-I werde die Pflicht zur objektiven Berichterstattung verletzt, es würden „Falschinformationen infolge der Verweiblichung der Sprache“ verbreitet. So soll er sich nicht angesprochen gefühlt haben, wenn beispielsweise von „Kund*innen“ gesprochen wurde. Dieser Umstand habe ihn jedoch so verärgert, dass sein Blutdruck auf ein ungesundes Niveau gestiegen sei. Kontakt mit dem Kundenservice nahm er bereits im Mai 2020 auf. Die Aufsichtsbehörde des ORF, die KommAustria, wies seine Beschwerde nun jedoch mit der Begründung zurück, dass keine unmittelbare Schädigung festgestellt werden konnte. Der Beschwerdeführer habe „ausschließlich eine auf der subjektiven Gefühlsebene liegende ‚Schädigung‘ (…) behauptet.“ (Hervorhebung durch die Redaktion) (heute.at)
3. Sprachspiele
Selber spielen
Die Ferienstimmung an Stränden und Flughäfen hat zur Folge, dass es diese Woche keinen Beitrag zu dieser Rubrik gibt. Tut uns leid. Da allzu körperbetonte Tätigkeiten bei der angesagten Hitze reizlos werden, folgen wir dem Titel „Sprachspiele“ mit einer Anregung zum gemächlichen Selbermachen: Spielen Sie mal wieder Scrabble, aber mit einer Zusatzregel: Es müssen immer mindestens drei Steine gelegt werden! So kann keiner mal eben mit n und d für „und“ auf dem dreifachen Wortwert Punkte scheffeln. Diese Bedingung führt beim dran Seienden zu einer Denkpause, derweil können die nicht dran Seienden ein frisches Caipirinha anfertigen. Oder Orangensaft pressen. (Oliver Baer)
4. Kultur
Marburger Dorf-Dialekte
Das Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas erfasst mit einem Sprachbus die verschiedenen Dialekte der Stadt Marburg und ihres Umlandes. Dialektsprecher werden gebeten, zu einem mitgebrachten Foto eine Geschichte in ihrem eigenen Dialekt zu erzählen. Diese Geschichten werden aufgezeichnet, anschließend soll eine multimediale Ausstellung entstehen. Ziel ist es, zu zeigen, wie vielfältig die Sprachen in den oft noch dörflichen Regionen sind. Die Studenten, die das Projekt begleiten, kommen aus ganz Deutschland, viele der lokalen Wörter hören sie zum ersten Mal: Gote (Patentante), Mattekuchen (Käsekuchen) und Dappes (Tollpatsch) sind nur Beispiele für die sprachlichen Besonderheiten. (giessener-anzeiger.de)
5. Berichte
Amtssprache wenig beliebt
Wer ständig im Ausland lebt, gilt im Jargon als expat (aus expatriate, „fern der Heimat“). Gemeint ist, wer seiner Arbeit im Ausland nachgeht. Hierzulande tun sich die expats schwer mit der Sprache, das ist dem Expat Insider Survey 2022 zu entnehmen, einer aktuellen Studie des Netzwerks InterNations über die weltweite Beliebtheit der Gastländer. Befragt wurden 11.970 im Ausland Lebende aus 177 verschiedenen Nationalitäten, die in 181 Staaten der Erde tätig sind. Deutsch ist keine leichte Sprache, das bestätigen die Heimatfernen. Ihr Wehklagen dürfte in erster Linie vom Umgang mit unseren nicht digitalisierten Ämtern geprägt sein. Dort wird ja auch der Muttersprachler mürbe. In dieser Gemengelage ist die Idee aus der FDP einzuordnen, wir benötigten Englisch als zusätzliche Amtssprache. Der wichtigste Einwand dagegen wird aber meist übersehen. Bürokratie steht nun mal (mit allen Vor- und Nachteilen) für das Streben nach Gerechtigkeit bis in das einklagbare Detail, daher die oft verzwickte Amtssprache. Auf Englisch würde alles noch schwerer durchschaubar, denn exzellente Englischkenntnisse besitzen wir nicht, und sie sind auch nicht herbeizuzaubern. Es bleibt dabei: Wer aus der Fremde kommt, muss die Landessprache erwerben. Wie ist, wenn man auf deutschen Straßen zum ersten Mal unterwegs ist, das Schild „Reißverschluss erst in 200 m“ zu verstehen? Schon mal das Wort erst ins Englische übersetzt? (internations.org (PDF-Datei, englisch))
Auflösung: not before – in diesem Fall.
6. Denglisch
„Lost“
Die Jugendsprache wimmelt von Anglizismen. Einer ist der Begriff „lost“. Dabei handelt es sich, im Gegensatz zu anderen Anglizismen, um keine Abkürzung, sondern um ein vollständiges englisches Wort, das ins Deutsche eingeflossen ist. „Lost“ (verloren) wird in Situationen angewendet, in denen jemand ahnungslos oder unentschlossen ist. Es wird als Adjektiv verwendet um Überforderung auszudrücken, kann jedoch auch auf fehlende Fähigkeiten aufmerksam machen. Es wird sowohl gesprochen als auch beim Chatten (Tratschen in den sozialen Netzwerken) verwendet. Bereits 2020 wurde es zum Jugendwort des Jahres gekrönt, es findet weiterhin seinen Platz im Sprachgebrauch der Jugend. (familie.de)
7. Kommentar
Entspannt euch!
Ja, ja, Sexismus und MeToo-Debatte – aber ehrlich: Stimmungsmusik, Ballermann-Hits – das sind alles keine hochtrabenden kulturellen Ergüsse. Sie sollen Spaß machen, zum Mitsingen anregen, es soll getanzt und gehüpft werden. Niemand schunkelt zu Beethovens 5. Sinfonie, dafür steigt aber die Stimmung mit „10 nackten Frisösen“ und einem „Bett im Kornfeld“. Die Melodie ist eingängig, der Text schnell gemerkt. Und Stimmungsmusik lebt auch immer vom Spiel mit den Grenzen. Puritanismus und political correctness sind im Festzelt fehl am Platz. Was wäre die Konsequenz: Keine Spider Murphy Gang mehr, die mit ihrem „Skandal im Sperrbezirk“ bis heute alle zum Mitsingen bringt? Keine Police, die über das Schicksal der Prostituierten „Roxanne“ singen? Kein Flo Rider, der mit „Blow my Whistle“ vermutlich nicht die Schiri-Pfeife meint? Und Marvin Gaye darf dann auch keine Gesundheitstipps à la „Sexual Healing“ geben? Wenn zensiert werden soll, was auch nur im Ansatz anstößig sein könnte, haben wir eine Gesellschaft, in der alles glattgebügelt ist. Nicht anecken, nicht provozieren, nichts Neues wagen. Layla ist nicht der Untergang des Abendlandes. Es ist ein Saison-Hit. Nächstes Jahr gibt’s einen anderen. Und ein Verbot oder die „freundliche Bitte“, es nicht zu spielen, wird – wenn wir mal alle ehrlich sind – auch nicht dafür sorgen, dass weniger Frauen angegrabscht oder belästigt werden. Ihn mit einem Aufruf zum Sexismus zu verbinden ist so lächerlich wie zu glauben, dass Klatschen den Pflegekräften mehr Geld bringt. Also: Einfach mal den Stock aus dem Poppes ziehen. (Doro Wilke)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs