1. Presseschau
Rap als Poesie gegen Sitte und Anstand
Deutsch als Sprache verkommt zum reinen Informationsträger, Zwischentöne sind selten geworden. Zu diesem Schluss kommt Johannes Bruggaier in seinem Kommentar im Südkurier. Besonders an Friedrich Hölderlin sei das gut zu sehen. Er habe mit seinen Werken Deutsch auf eine neue Ebene gehoben, Sprache sei weit mehr als ein Werkzeug zur Verständigung gewesen. Der Wandel, den die Sprache vollzieht, sei menschengemacht, und darin liege ein Risiko, wie die deutsche Geschichte im Dritten Reich und in der DDR gezeigt habe. Heute werde Sprache häufig als reines Kommunikationsmittel verstanden. Das sei nicht unbedingt verwerflich, sorge es doch dafür, dass möglichst viele sich austauschen können. „Wer sich in diesem System auf welche Weise angemessen repräsentiert fühlt, ist zwar nicht gleichgültig, aber zweitrangig“, schreibt Bruggaier.
Der Poesie der Töne sollte aber kein Riegel vorgeschoben werden, denn was zwischen den Zeilen steht, sei die Seele der Sprache. Eine klinisch reine Sprache, die lediglich als Vehikel für Informationen genutzt wird, verliere an Intensität. Dass ausgerechnet die Musikrichtung Rap, die gemeinhin als kontrovers, meist als unflätig wahrgenommen wird, der Sprache wieder Leben einhauchen könnte, überrascht, so Bruggaier: „Wer sich von Jugendlichen in die Welt der deutschen Rapper führen lässt, begegnet unbekümmertem Wortwitz, raffinierten Metaphern und vor allem wahrhaftiger Ironie. Missverständnisse sind hier noch eingepreist als ein notwendiges Risiko, ohne das Kunst nur Propaganda wäre und Sprechen bloß Kommunikation. Dabei ist jeder vermeintliche Verstoß gegen Sitte und Anstand, von meist betagteren Moralhütern mit Vehemenz öffentlich gerügt, in Wahrheit Ausdruck einer lebendigen Sprachkultur. Es ist wie so oft in der Geschichte: Die Kultur lebt nicht bei denen, die sie zu beherrschen glauben. Sondern dort, wo sie eben diese besonders schmerzt.“ (suedkurier.de (Bezahlschranke))
Jugendwort 2023: Goofy
Die meisten werden beim Wort „Goofy“ an die Disney-Figur denken: Der übergroße Hund, bester Freund der Micky Maus. Nun aber ist goofy auch das Jugendwort des Jahres 2023. Es beschreibt jemanden, der tollpatschig oder vertrottelt ist. Der Langenscheidt-Verlag lässt einmal im Jahr über das Jugendwort abstimmen, auf Platz 2 und 3 folgten dieses Jahr NPC und Side Eye. Die Abkürzung NPC ist ein Begriff aus Videospielen, steht für non-player character, eine Figur, die man nicht selbst lenken kann; demnach ist NPC einer, der im wahren Leben nicht durch selbständiges Denken auffällt. Side Eye ist ein verächtlicher Blick, den man jemandem von der Seite zuwirft. (spiegel.de)
Delfine rufen einander beim Namen
Dass Tiere ihre eigene Sprache haben, ist schon länger bekannt: Bienen tanzen, um zu informieren, Wale singen und Meisen beherrschen Grammatik. Oft können wir diese Laute nicht nur nicht verstehen, sondern gar nicht hören, weil sie – wie z. B. bei Mäusen – im Ultraschallbereich liegen, den unsere Ohren nicht wahrnehmen. Bei der Sprache der Tiere steht die Nachahmung von Lauten im Vordergrund. Viele Tiere können Laute von Menschen oder anderen Tieren imitieren und sogar fein nachjustieren. Delfine haben dabei einen individuellen „Signaturpfiff“ entwickelt, an dem sie andere Delfine erkennen. Wie beim Menschen der Name dient der Signaturpfiff der direkten Ansprache. Delfine stellen sich damit vor und lernen auch die Signaturpfiffe befreundeter Artgenossen – sie rufen einander beim Namen. (rnd.de (Bezahlschranke))
Eltern verschulden Sprachprobleme
In seiner Kolumne für die Netzausgabe der BZ berichtet Gunnar Schupelius über die mangelnden Deutschkenntnisse der Schüler. Laut der aktuellen Studie des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) sinkt das sprachliche Kompetenzniveau von Neuntklässlern immer weiter. Insbesondere das Verstehen der gesprochenen Sprache sei seit 2015 deutlich schlechter geworden. Schupelius sieht einen Zusammenhang zu den beiden Flüchtlingswellen ab 2015. Die Berliner Schulsenatorin Katharina Günther-Wünsch befürwortet eine „intensive Sprachförderung“ in den Schulen. Das Problem liegt laut Schupelius aber nicht an der Schule, sondern am Elternhaus. Wenn zu Hause kaum oder nur manchmal Deutsch gesprochen wird, sei es naiv zu glauben, die Lehrer hätten das geringe Kompetenzniveau zu verantworten. Der Anteil der Familien, in denen nie oder nur manchmal Deutsch gesprochen wird, habe sich im bundesweiten Durchschnitt auf etwa 32 Prozent erhöht. In Berlin sei der Anteil sogar noch wesentlich höher. Das Sprachproblem der Kinder wurzelt im Elternhaus. Wenn zu viele Eltern dieses Problem nicht lösen wollen oder können, soll es dann einfach liegen bleiben? (bz-berlin.de)
2. Gendersprache
Das unentdeckte Nullgenus
Gender-Befürworter müssen schon wieder ganz stark sein: Das generische Maskulinum ist keine „männliche“ Form, und diese Erkenntnis ist sogar deutlich älter als die feministische Linguistik der 1970er Jahre. Der russische Linguist Roman Jakobson zeigte bereits Anfang der 1930er, welche semantische und grammatische Asymmetrie zwischen dem Maskulinum und dem Femininum bestehe: Der Bürger habe eine sexusneutrale Grundbedeutung. Erst durch die Endung -in bekomme die Bezeichnung einen eindeutig weiblichen Bezug. Dieser Endung habe der Bürger „nichts entgegenzusetzen, weshalb Jakobson das Maskulinum auch als das ‚Nullgenus‘ bezeichnete“, schreibt Wolfgang Krischke in der Welt. „Erst die Endung -in transformiert einen universalen in einen weiblichen Bürger und unterscheidet ihn von seinem männlichen Pendant: Ist zugleich von Bürgerinnen die Rede, schrumpfen die Bürger zur Männergruppe, wird aus dem Ober- ein Unterbegriff.“ (welt.de (Bezahlschranke))
Kein Gendern in Rheinland-Pfalz
In Rheinland-Pfalz sollen keine Genderzeichen an Schulen genutzt werden. Das hat das Bildungsministerium nach einer Anfrage der Freien Wähler dem SWR bestätigt. Für Lehrer und Schüler gelten die Rechtschreibregeln von 2006, an die müssen sich alle in schriftlichen Arbeiten halten, heißt es. Damit bestätigt das Bildungsministerium die Aussage von Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) aus dem Bildungsausschuss Anfang September. Sie hatte dort erklärt, dass das amtliche Regelwerk nach wie vor die Grundlage des Unterrichts an Schulen sei. Genderstern, Gendergap (Unterstrich), Doppelpunkt oder andere verkürzte Formen dürfen nicht verwendet und müssen in Schülertexten als Fehler gekennzeichnet werden. (swr.de)
3. Sprachspiele: Unser Deutsch
Viel Schutz II
Manche Wörter vermitteln tiefe Einblicke in die Seele einer Sprachgemeinschaft. Dazu gehört der Schutz, aber weniger als selbständiges Substantiv, sondern als Grundwort von unzähligen Komposita. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache zählt 172 solcher Bildungen wie Artenschutz, Datenschutz, Klimaschutz, Pflanzenschutz, Rechtsschutz, Tierschutz, Versicherungsschutz usw. Solche Bildungen sind ein Charakteristikum der deutschen Wortbildung. Sie sind die Raffung eines Syntagmas zu einem Wort (Fachleute nennen es Univerbierung). So wird aus dem Schutz der Arten das Kompositum Artenschutz, aus Schutz gegen Diebstahl das Kompositum Diebstahlschutz und aus dem Schutz durch die Polizei das Wort Polizeischutz. Es sind die Präpositionen durch und gegen bzw. der attributive Genitiv, die den semantischen Unterschied ausmachen. An den syntaktischen Paraphrasen erkennt man also, welche spezifische Beziehung zwischen dem Grundwort und dem Bestimmungswort des Kompositums besteht. Man nennt das Wortbildungsbedeutung. Fast alle 172 Schutz-Komposita lassen sich so näher bestimmen. Es sind Muster, die sehr häufig vorkommen, zum Beispiel in Klimaschutz ‚Schutz des Klimas‘, Impfschutz ‚Schutz durch Impfung‘ und Einbruchschutz ‚Schutz gegen Einbruch‘.
Die Regelhaftigkeit dieser Komposita hängt mit einem weiteren Punkt zusammen. Schutz ist ein Verbalsubstantiv, abgeleitet vom Verb schützen. Dies eröffnet im Satz verschiedene Leerstellen, die durch ein Akkusativobjekt (z.B. das Klima schützen) oder verschiedene Präpositionalobjekte (z. B. gegen Einbruch schützen, durch Impfung schützen) ausgefüllt werden. Das Verbalsubstantiv Schutz hat nun gleichsam die syntaktischen Leerstellen des Verbs schützen geerbt. Was beim Verb als Akkusativ- oder als Präpositionalobjekt erscheint, wird beim Verbalsubstantiv zum Bestimmungsglied. Die nähere semantische Beziehung zwischen den beiden Substantiven bleibt dabei – im Gegensatz zum Syntagma – unausgedrückt. So kann es durchaus vorkommen, dass ein Kompositum verschiedene Wortbildungsbedeutungen hat. Zum Beispiel Bienenschutz. Wir können es paraphrasieren als Schutz gegen Bienen, etwa in dem Satz „Ein spezieller Anzug bietet Bienenschutz“oder als Schutz der Bienen zum Beispiel in dem Satz „Das Verbot von Glyphosat ist Bienenschutz.“ Es kommt auf den Kontext an.
Man hat diesem Typ von Komposita einen besonderen Namen gegeben: Rektionskomposita. Der Fachausdrück soll sagen, dass in diesen Komposita die Rektion des zugrundeliegenden Verbs in das Substantiv übernommen wurde. Dies Verfahren hat nicht nur dazu geführt, dass so viele Schutz-Komposita gebräuchlich sind, vielmehr können wir mit dieser Methode ad hoc beliebig neue Komposita bilden. So können wir Deutsche unsere Leidenschaft, an allen Ecken und Enden unseres Lebens nach Schutz zu verlangen, aufs Leichteste ausleben. Die vielgescholtene Überbürokratisierung findet auch Ausdruck in Datenschutz, Artenschutz, Kinderschutz, Klimaschutz, Tierschutz usw. Und gegen alle Unbilden des Lebens schützen wir uns durch Rechtschutz und Versicherungsschutz.
Gibt es gegen diese Unsitte, jeden Schutzwunsch sofort in einem neuen Kompositum zu lexikalisieren, ein Gegenmittel? Könnte man vielleicht empfehlen, alle Schutz-Komposita zu meiden oder gar zu verbieten, um uns von unserem übertriebenen Schutzbedürfnis zu befreien? Etwa ähnlich wie beim Generischen Maskulinum? Umschreibungen wie Bürgerinnen und Bürger sind zwar umständlich, aber erfüllen ein feministisches Bedürfnis. Syntagmen statt Komposita wären umständlich, würden aber einem erzieherischen Ziel dienen. Kurz, wir stehen auch hier vor der Frage: Können Korrekturen der Sprache unser Leben verändern? Der Versuch kann gefährlich sein, wenn es am Ende heißt: Ziel verfehlt, aber Sprache vermurkst.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
4. Kultur
Kraut und Rüben
Das Unlogische an der deutschen Sprache – Mark Twain, der Schöpfer der Abenteuer von Huckleberry Finn, verzweifelte daran. Die Verteilung der drei Genera sei ohne Sinn. Die feminine „Steckrübe“ werde mehr verehrt als das „Mädchen“ im Neutrum. Personalpronomen und Adjektive seien eine „wuchernde Plage“, zusammengesetzte Wörter seien „alphabetische Prozessionen“. Professor Eric Fuß, Germanist an der Universität Bochum stimmt Twain zu: Das hänge vom Sprachgebrauch ab. „Es ist alles Kraut und Rüben im Deutschen“, so Fuß in der Welt. Des Weiteren vergleicht er: zwei Genera im Italienischen und Französischen, Neutrum und Utrum im Schwedischen und Dänischen. Ganz andere grammatikalische Kategorien gibt es in anderen Sprachen: So gebe es in der Bantusprache Swahili Nominalklassensysteme für Tiere, Pflanzen, Werkzeuge. Längliche Gegenstände bekämen andere Endungen als rundliche. (welt.de)
Festspiel der deutschen Sprache
Das „Festspiel der deutschen Sprache“ hat sich in den vergangenen Jahren zum wohl wichtigsten Termin im Kulturkalender Sachsen-Anhalts gemausert – zu diesem Schluss kommt Joachim Lange in der Volksstimme. Die Opernsängerin Edda Moser (die auch VDS-Mitglied ist) hatte es ins Leben gerufen und leitet es seither. Bei der Eröffnung sprach Ministerpräsident Reiner Haseloff davon, dass es um die Sprache als Kulturgut im Lande Luthers gehe sowie darum, den Versuchen, „uns ein Kunstprodukt aufzudrücken“, etwas entgegenzusetzen. Was das bedeute, habe im Bad Lauchstädter Goethe-Theater jeder gewusst, er habe sich doch bereits mehrfach deutlich gegen das Gendern positioniert. Das Festspiel glänzt jedes Jahr mit Texten der deutschen Literatur und renommierten Künstlern, die diese zum Leben erwecken. Eröffnet wurde das „Festspiel der deutschen Sprache“ dieses Jahr mit Georg Büchners Stück „Dantons Tod“. (volksstimme.de)
Unübersetzbare Fremdwörter
Die deutsche Sprache ist bekannt für Ausdrucksfähigkeit und einzigartige Wortkonzepte. So beschreibt „Fernweh“ die melancholische Sehnsucht nach fremden Orten, das ist ein Beispiel für Wörter, die es in keiner anderen Sprache gibt. welt.de stellt nun eine Liste mit unübersetzbaren Wörtern aus anderen Sprachen zusammen, für die im Deutschen ein Äquivalent fehlt. Maren Pauli von der Sprachlern-App „Babbel“ erklärt, dass vor allem Japanisch eine kreative Sprache mit vielen uns fremden Wortkonzepten sei. Denn Japanisch, anders als die romanischen und germanischen Sprachen, habe sich eigenständig entwickelt, und wurde dabei vom Buddhismus beeinflusst. Eine solche Wortschöpfung sei „age-otori“, was übersetzt werden kann als das Gefühl, dass man nach einem Friseurbesuch verrückter aussehe als vorher. Auch andere Sprachen weisen schöpferische Begriffe auf. In Italien bezeichnet man die Müdigkeit nach einer großen Mahlzeit als „Abiocco“; „Feestvarken“ ist in den Niederlanden jemand, zu dessen Ehren ein Fest gefeiert wird und „Yakamoz“ ist im Türkischen die Reflexion des Mondlichts auf dem Wasser. Der Einfallsreichtum in den Sprachen lässt erahnen, was der Menschheit mit dem Verlust jeder weiteren Sprache fehlen wird. (welt.de)
5. Berichte
Witziger Theologe erhält 5. Bergischen Sprachpreis
Der Wipperführter Diakon Willibert Pauels wurde vergangene Woche mit dem Bergischen Sprachpreis „Die Eule“ der VDS-Region Bergisch-Land geehrt.. Pauels tritt regelmäßig als „Ne Bergische Jung“ im Karneval auf und hat eine eigene Sendung im Kölner Domradio. „Der Witz steht über den Dingen. Das ist der Grundsatz Pauels, der seine Tätigkeit als Theologe mit der des Humoristen verbindet“, sagte Regionalleiter Hans-Ulrich Mundorf in seiner Lobrede. Die Preisverleihung fand im Werkzeugmuseum in Remscheid statt. (rga.de (Bezahlschranke))
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs