1. Presseschau
Sprache für die Sprachlosen
Wird man bald Gedanken lesen können? Forscher an der Columbia University in New York haben entdeckt, dass sie Gehirnströme in gesprochene Sprache umwandeln können. Dazu verwendeten sie einen sogenannten Vocoder: einen Algorithmus, der Signale in Laute umwandelt. Er beruht auf derselben Technologie wie die Sprachassistenten Alexa und Siri. Im Experiment wurden Patienten, denen zur Behandlung ihrer Epilepsie ein Hirnimplantat eingesetzt war, Texte und Zahlen vorgelesen. Die Hirnaktivität, die beim Vorlesen entstand, wurde anhand der Implantate gemessen und mithilfe künstlicher Intelligenz sowie des Vocoders in Zahlen und Wörter umgewandelt. Studienleiter Nima Mesgarani hofft, dass das Verfahren Menschen helfen kann, die nicht sprechen können. Niels Birbaumer, Professor für Medizinische Psychologie an der Universität Tübingen, zweifelt hingegen: „Im Grunde haben die Forscher nur die Reaktion des Gehirns auf einen äußeren Reiz aufgezeichnet.“ (spektrum.de, derstandard.de, t3n.de, focus.de, lizzynet.de)
Neues Bildungszentrum in Dresden
Die Handwerkskammer in Dresden bekommt ein neues Bildungszentrum, es soll als „njumii – Das Bildungszentrum des Handwerks“ firmieren. Das Wörtchen njumii bedeutet „neues Ich“, es steht für „new me“, wie man es ausspricht. Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden, möchte damit die Vielfalt der Möglichkeiten des Handwerks sowie das große Angebot der Weiterbildung vermitteln; njumii will außerdem den Blick weiten und neue Zielgruppen erschließen. Bislang war das Bildungszentrum der Mittelpunkt ihres Lernens für mehr als 7.850 Lehrlinge, angehende Handwerksmeister und Teilnehmer von Fortbildungslehrgängen. Um die Qualität des Unterrichts und die Modernität der Ausstattung zu erhöhen, wird seit April 2017 das neue Bildungszentrum gebaut. Vom Englisch ihrer Ausbilder erholen können sich die Handwerker gleich nebenan. Unter den Pappeln wird Pétanque gespielt, bei ein paar Worten Französisch im Verein La Boule Rouge. (hwk-dresden.de)
Drei-Wörter-Sprache
Bei den vielen Straßen- und Städtenamen auf der Welt kann sogar ein Navigationssystem mal durcheinander kommen. In jeder Stadt gibt es mindestens eine Bahnhofstraße und häufig sogar zwei gleichbenannte Straßen. Doch das Suchen und Finden wird in Zukunft einfacher, denn die Firma What 3 Words hat ein System entwickelt, mit dem sich jeder Ort durch eine Kombination von drei Wörtern genau lokalisieren lässt. Dafür wird die Erdoberfläche in 57 Billionen Quadrate mit einer Fläche von drei mal drei Metern unterteilt. Das hat den Vorteil, dass auch Regionen, in denen keinerlei Straßen existieren, nicht verfehlt werden können. Die New Yorker Freiheitsstatue beispielsweise findet sich über die Kombination „Dankt, Anlegen, Kinosaal“; sie ist vom Anbieter so festgelegt. Schreibt man in der Wortfolge „dankte“ statt „dankt“, landet man an einem Feldrain nahe dem holsteinischen Ort Scheppern. (welt.de)
Am besten versucht sich der Neugierige an seiner eigenen Adresse. Offenbar gibt es dafür bereits eine Wortfolge. Nur diese drei Wörter muss man anreisenden Gästen angeben, dann finden sie sogar den Hauseingang. Geplant ist, ab 2020 die ersten Auto-Navis zur Verarbeitung solcher Adressen einzusetzen. Dann soll durch Aussprechen der drei Wörter der gewünschte Ort zu finden sein. Allerdings kann bald kein Mensch mehr Karten lesen. Hier geht es zum Selbstversuch (Wohnadresse ins Suchfeld eintragen!): map.what3words.com
2. Unser Deutsch
Kunstfehler
Wenn Ärzte schlampen oder sich irren, ist in der Rechtsprechung und unter Medizinern vom Kunstfehler die Rede. Der Laie fragt sich, wieso hier von Kunst gesprochen wird und hegt den Verdacht, hier solle eine Übeltat verschleiert werden. Genauer und eindeutiger sagt es darum das Wort ‚Behandlungsfehler‘. Es bleibt dennoch die Frage, woher dieser schön klingende Ausdruck kommt. Er ist ein Stück Medizingeschichte. Der berühmte Berliner Arzt Rudolf Virchow führte ihn im Jahre 1870 ein und definierte den Kunstfehler damals als „Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Heilkunst infolge eines Mangels an gehöriger Aufmerksamkeit oder Vorsicht“. Ähnlich lauten auch heutige Definitionen.
Aber warum spricht Virchow vom Kunstfehler? Die Frage führt hinab bis ins griechische Altertum. Die Griechen kannten den Begriff iatrikē téchnē. In der klassischen Zeit des 5./4. Jahrhunderts war techne ein Sammelbegriff für Wissenschaft, Handwerk und Kunst. Die ‚ärztliche Kunst‘ oder ‚Heilkunst‘, wie es in älterer deutscher Übersetzung heißt, war handwerkliche Medizin und Wissenschaft, von ausgewiesenen Lehrern unterrichtet, die den richtigen Weg wiesen. Dazu zählte auch, was wir heute die ethische Dimension der Medizin nennen. Auch im Lateinischen ist von lege artis ‚nach dem Gesetz (der Regel) der Kunst“ die Rede, dem der Arzt zu folgen hat.
Die Bedeutung von Kunst als erlerntes und ausgeübtes Handwerk lebt übrigens in zahlreichen weiteren Zusammensetzungen im Deutschen fort, zum Beispiel in Kochkunst, Fechtkunst, Kriegskunst. Erst im 18. Jahrhundert verlagert sich die Bedeutung auf den künstlerischen Aspekt, auf die Schönen Künste. In den Zusammensetzungen Heilkunst und Kunstfehler lebt diese ältere, heute unübliche Bedeutung von Kunst fort. Damit kann man leben, wenn man nicht einem Kunstfehler zum Opfer fällt.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. VDS-Termine
11. Februar, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:15 Uhr
Ort: Gaststätte „Kaiser-Treff“, Hahnerberger Straße 260, 42329 Wuppertal
11. Februar, Region 20, 22 (Hamburg)
Mitgliedertreffen mit Autorenlesung von Kurt Gawlitta: Youssefs Gesetz
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis Alsterring, Pappelallee 61, 22089 Hamburg
13. Februar, Region 52 (Aachen)
Mitgliedertreffen mit Wahl der Regionalleitung, mit Impulsvortrag von Oliver Baer
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Ev. Familienbildungsstätte Martin-Luther-Haus, Martin-Luther-Straße 16, 52062 Aachen
13. Februar, Region 76 (Karlsruhe, Baden-Baden)
Mitgliedertreffen mit Wahl der Regionalleitung
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Leonardo, Ettlinger Str. 23, 76137 Karlsruhe
26. Februar, Region 90, 91, 92 (Nürnberg, Erlangen)
Mitgliedertreffen mit Wahl der Regionalleitung
Zeit: 19:00 – 20:30 UhrOrt:
Altdorfstübchen im Weinstadel, Maxplatz 8, 90403 Nürnberg
27. Februar, Region 03 (Cottbus)
Mitgliederversammlung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel „Zur Sonne“, Taubenstraße 7, 03046 Cottbus
4. Literatur
Pollypreis
Der Preis für politische Lyrik, kurz: „Pollypreis“, wird dieses Jahr zum siebten und voraussichtlich letzten Mal ausgeschrieben. Er steht unter dem Motto „Auf zum letzten Gefecht!“ und richtet sich an Autoren aller Art, die politisch orientierte Lyrik einsenden möchten. Bis zu drei Gedichte können an contact@pollypreis.de gesendet werden. Mehr Informationen unter: pollypreis.de
Asylsuchender schreibt Buch per Whatsapp
Der Literaturpreis des Bundesstaates Victoria in Australien ehrt in diesem Jahr ein eher ungewöhnliches Werk. Behrouz Boochani, asylsuchender Kurde, schrieb ein Buch per Whatsapp. Seit sechs Jahren sitzt er im Flüchtlingslager auf der Insel Manus im Pazifik fest – der Ort, an dem Australien seine Asylbewerber auf unbestimmte Zeit unterbringt. Boochani schickte seine Texte jeden Tag per Whatsapp-Nachricht an einen Freund in Australien, der sie dann übersetzte, woraus schließlich das Buch „No Friend But The Mountains: Writing From Manus Prison“ entstand. Boochani bezeichnete Whatsapp als sein Büro, in dem er ungestört arbeiten könne. Auf Papier habe er nicht schreiben wollen, da die Wärter der Anstalt immer wieder die Zimmer durchwühlen. Auf den Literaturpreis reagierte Boochani mit einem zwiespältigen Gefühl: „Auf eine Art bin ich sehr glücklich, dass wir in der Lage sind, Aufmerksamkeit für diese Not zu generieren. Und viele Menschen haben so von der Situation erfahren, was toll ist. Auf der anderen Seite habe ich, glaube ich, nicht das Recht zu feiern – weil ich viele Freunde habe, die hier leiden. Das Wichtigste für uns ist, runter von dieser Insel zu kommen und ein neues Leben anzufangen.“(stern.de, taz.de, bento.de)
Wortklub Dortmund
Im Jazzklub domicil in Dortmund findet eine neue Literaturveranstaltungsreihe statt. An sieben Donnerstagen in diesem Jahr soll mit dem „Wortklub Dortmund“ ein neues Format ins Leben gerufen werden, das Literatur und Musik vereint. Das Konzept: Zwei Autoren, die über ihr Leben und ihre Literatur sprechen, ein musikalischer Gast, der das ganze untermalt, ein Moderator, der durch den Abend führt, und die ein oder andere Überraschung darf auch nicht fehlen. Eine lockere Atmosphäre schafft Nähe zwischen Besuchern und Autoren. Es soll „nicht abgehoben und theoretisch zugehen, sondern lebensnah und unterhaltsam“, so der Macher und Moderator des Wortklubs, Thomas Koch. Die erste Veranstaltung wird am 14. Februar um 19:30 Uhr unter dem Motto „Religion versus Freiheit“ stattfinden. Als Autoren werden die Berliner Journalistin Güner Balci sowie der in Wien lebende Autor Misha Verollét Teil des Abends sein. (nordstadtblogger.de)
5. Denglisch
Der eine kommt, der andere geht
Die Hymne des britischen Fußballvereins FC Liverpool „You’ll never walk alone“ war Titel der Brexit-Debatte in der vergangenen Woche. Doch der Gebrauch der englischen Sprache beschränkte sich nicht auf den Titel. Hansjörg Schmidt, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg, argumentierte, dass man „Brexit prepared“ sei, vor allem in Wirtschaftsfragen. FDP-Politiker Michael Kruse forderte vom Senat eine „Task Force Brexit“ und Alexander Wolf, Fraktionsvorsitzender der AfD-Bürgerschaftsfraktion, nahm Bezug zum Titel der Debatte und betonte: „Wenn Sie an der Seite der Briten gewalkt wären und deren Sorgen zugehört hätten, dann gäbe es das Problem jetzt nicht.“ Verschiedene englische Zitate wurden in die Wortbeiträge eingebunden. Man könnte meinen, der Austritt der Briten muss durch mehr englischen Sprachgebrauch kompensiert werden, ganz nach dem Motto „Der eine kommt, der andere geht“. Die Briten mögen zwar die EU verlassen, dafür hält aber die englische Sprache immer mehr Einzug ins Land. (mopo.de)
6. Rosamunde Pilcher gestorben
„Ihre literarische Karriere begann Rosamunde Pilcher schon als Teenagerin“. Eine übereinstimmende Formulierung in mehreren Medien deutet darauf hin, dass der Urtext der Meldung aus derselben Quelle, einer Presseagentur, stammt. Das ist üblich, erklärt aber auch, wie unter Zeitnot stehende Journalisten Formulierungen bedenkenfrei übernehmen. So wird mit der Eindeutschung des geschlechtsneutralen Wortes Teenager zu dem denglischen Wort Teenagerin der Siegeszug des Genderns fortgesetzt. (deutschlandfunkkultur.de, tagesschau.de)
Kommentar
Nach Entdeckung der Teenagerin bleibt offen: Was ist mit den Teenagerern? Entweder der Teenager ist und bleibt der Oberbegriff für weibliche und männliche Jugendliche, oder der Teenager muss zum Unwort erklärt werden, weil er die Mädchen unterdrückt. Fahnden wir daher nach dem Teenagerer! Wer dafür den ersten Beleg liefert, darf gleich weiter suchen: nach einer – nun aber restlos – geschlechtsneutralen Eindeutschung für junge Leute, die weder Teenagerin noch Teenagerer sind. Sie wird sich finden, ganz sicher. Wer/werin/werix dafür einen glaubwürdigen Beleg vorzeigt, wird von der Redaktion an dieser Stelle gewürdigt. Bitte Foto einsenden (des Beleges).
IMPRESSUM
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Namentlich gekennzeichnete Beiträge können mit der Meinung der Redigierenden übereinstimmen.
Redaktion: Oliver Baer, Alina Letzel
© Verein Deutsche Sprache e. V.