Infobrief vom 21. Januar 2024: Verbindung von Kopf zu Kopf und Herz zu Herz

1. Presseschau

Verbindung von Kopf zu Kopf und Herz zu Herz

Während manche Medien allerlei Vermutungen über den Verein Deutsche Sprache anstellen, meldet sich der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn in der Neuen Zürcher Zeitung zu Wort. Die Veröffentlichungen und Aktivitäten des Vereins seien überparteilich und bezögen sich „sachlich auf sachbezogene Fragen rund um die deutsche Sprache“. Der Verein Deutsche Sprache sei kein Hort des völkischen Wahns, und er schäme sich nicht, Ehrenmitglied zu sein. Für ihn sei die deutsche Sprache das Arbeitsmittel: „Ich pflege und hege es, wie Musiker ihr Musikinstrument hegen und pflegen.“ Er leide darunter, dass so oft zu viele „die deutsche Sprache regelrecht verhunzen oder nicht nur den Genitiv nicht kennen, sondern die deutsche Grammatik nicht beherrschen.“ Er wendet sich in der NZZ an die lieben Mit-Deutschen und die lieben Mit-Nutzer der deutschen Sprache: „Die Pflege der deutschen Sprache ist weder Teutonismus noch gar Nazismus, sondern Pflege eines Kulturgutes. Es schafft Kommunikation und ist somit die wichtigste Verbindung von Mensch zu Mensch, Kopf zu Kopf und Herz zu Herz.“ (nzz.ch, wolffsohn.de)


Unwort des Jahres gekürt

Die sprachkritische Aktion kürt das „Unwort des Jahres“. Bei dieser Initiative werden Wörter prämiert, die beschönigen, was von Übel oder zumindest fragwürdig ist. Das Unwort des Jahres 2023 ist „Remigration“, welches man auch mit „Rückkehr ausgewiesener Migranten“ übersetzen könnte. Gemeint ist laut Jury mit dem „beschönigenden Kampfbegriff“ jedoch die Forderung nach Zwangsausweisungen und Deportationen. Die Plätze zwei und drei erreichten heuer „Sozialklimbim“ und „Heizungs-Stasi“. Im Vorjahr lag das Unwort „Klimaterroristen“ vorne. Vorschläge für die Wahl konnten bis Ende Dezember eingereicht werden. (zeit.de)


Chance durch migrationsbedingte Mehrsprachigkeit

Viele Schüler sind mehrsprachig, können aber kein Deutsch. Das wird als Risikofaktor betrachtet, kann aber auch als Lernchance genutzt werden, denn Studien zeigen, dass Schüler „nicht nur sprachlich, sondern auch fachlich profitieren, wenn Mehrsprachigkeit im Unterricht adressiert wird“, heißt es im Zusammenhang mit einem Sprachwettbewerb der gemeinnützigen GmbH Bildung & Begabung, bekannt als Anlaufstelle für Begabungsförderung in Deutschland.

Von Mitte bis Ende Januar können Viertklässler nun an dem Fremdsprachenwettbewerb Wingy Wombat teilnehmen. Das Potential der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit werde durch den regulären Unterricht nicht aufgegriffen, sagt Michael Remmy, Leiter des Bundeswettbewerbs Fremdsprachen. Der Sprachenwettbewerb Wingy Wombat fördere den Zugang zu anderen Sprachen und Kulturen. Unter der gleichnamigen Netzseite können die Kinder mit der Comicfigur eine virtuelle Reise unternehmen und somit Aufgaben lösen, um ihr sprachliches Potential zu testen. Wingy Wombat gilt als Vorstufe zur Teilnahme am Bundeswettbewerb Fremdsprachen, dem traditionsreichsten Schülerwettbewerb Deutschlands. (presseportal.de)


Rentner rettet Sprache

Der 89-jährige Argentinier Blas Omar Jaime ist der letzte Muttersprachler der argentinisch-indigenen Sprache Chaná. Die Kultur und Sprache der Chaná lernte er von seiner Mutter. Die UNESCO stuft Chaná als „extrem gefährdet“ ein; das jüngste Dokumentationszeugnis dieser 2000 Jahre alten Sprache stammt aus dem Jahr 1815. Jaime setzte sich mit Linguisten zusammen, um ein Wörterbuch mit mittlerweile etwa 1000 Begriffen zu erstellen. Der Rentner will seine Sprache retten. Er hat sein Wissen seiner Tochter Evangelina Jaime weitergegeben. Sie unterrichtet Chaná im Netz. Die Geschichte des Blas Omar Jaime sei für die indigene Bevölkerung Argentiniens zugleich eine Inspiration und eine Abrechnung mit der Kolonialgeschichte des Landes, berichtet nau.ch. (nau.ch)


2. Gendersprache

Aus für Gender-Sonderzeichen

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl gab in der vergangenen Woche bekannt, dass Gendersonderzeichen wie das Binnen-I und der Genderstern in der Verwaltungssprache des Bundeslandes künftig nicht mehr zulässig seien. Diese Verwaltungsvorschrift gelte für den Schriftverkehr von Ministerien oder Regierungspräsidien. Zuvor wurde zwar durch das Innenministerium in Stuttgart der Antrag auf ein Volksbegehren gegen eine Genderpflicht an Schulen und Behörden aus formalen Gründen abgelehnt, nun wolle man jedoch durch das anstehende Genderverbot in den Landesbehörden bestehende „Regelungsdefizite heilen“.

Kritik an dieser Entscheidung gab es von den Grünen, jedoch weist die CDU diese Kritik zurück, berichtet stern.de. Man stehe für Klarheit und Verständlichkeit, erklärt Landesgeschäftsführer Tobias Vogt laut eigener Mitteilung. „Wir wollen eine Sprache, die zusammenführt – die verbindet, nicht spaltet“. Von dem Genderverbot seien die Schulen und Hochschulen jedoch nicht betroffen. (welt.de, stern.de)


Feministische Linguistin wird 80

Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch gilt als Begründerin der sogenannten „feministischen Linguistik“. In der vergangenen Woche feierte sie ihren 80. Geburtstag. Ihre sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse und Theorien gelten als „überaus relevant“, sagt die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf der Netzseite. Ihr Hauptwerk „Deutsch als Männersprache“ erschien 1984, dort kritisierte sie das generische Maskulinum scharf und behauptete, die weiblichen Formen würden dadurch zur „Abweichung“. Ihr Plan, das generische Femininum einzuführen, führte zu keinem Durchbruch, aber bereits 1985 habe sie die Genderpause eingeführt, berichtet die FAZ. Pusch hat das generische Maskulinum stets als ein „Machtzeichen“ gesehen. (faz.net)


3. Sprachspiele: Unser Deutsch

Dienstwagenprivileg

Was versteht der Laie unter Dienstwagenprivileg? Das Vorrecht, für dienstliche Zwecke ein nobles Auto zu erhalten? Vielleicht mit Chauffeur? Also ein Privileg weniger Großverdiener? Das ist definitiv falsch. Dienstwagen sind Firmenwagen (gekauft oder geleast), die einer großen Zahl von Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden, mit Versicherung, Wartung, Reparaturkosten und oft einer kostenlosen Tankkarte. Das Privileg liegt in der Erlaubnis zu privater Nutzung, auch auf Urlaubsreisen, am Wochenende. Diesen ‚geldwerten Vorteil‘ muss der Begünstigte mit 1 Prozent des Neuwertes versteuern. Je größer der Wagen, desto größer das Privileg. Praktisch kann sich der Begünstigte ein eigenes Auto sparen.

Entscheidend – und das verbirgt der Begriff Dienstwagenprivileg – ist die außerordentliche Verbreitung von Firmenwagen. 2022 dienten 65,1 Prozent aller neuzugelassenen Wagen der gewerblichen Nutzung. Das schließt die Fahrzeuge von Handwerkern ein, wie auch die Kleinwagen des mobilen Pflegedienstes. Das Gros der Dienstwagen geht jedoch an die Besserverdienenden der großen Automobilhersteller, der Großkonzerne und der mittelständischen Betriebe. Es sind edle Fahrzeuge von Passat und Audi 6 bis E-Klasse, die ihnen für ein, zwei oder drei Jahre zur Verfügung gestellt werden. Dann geben sie den Wagen zurück und dürfen sich einen neuen aussuchen. Der gut erhaltene Altwagen geht, oft als Jahreswagen, in den Gebrauchtwagenmarkt.

Aus der Perspektive der Autoindustrie sind Dienstwagen ein sicherer, nie versiegender Absatzmarkt, ein Brot-und-Butter-Geschäft. Es geht gar nicht in erster Linie, wie der Name Dienstwagenprivileg suggeriert, um ein schönes Zubrot für außertariflich Beschäftigte, was ihre Firmenbindung stärkt. In Wahrheit geht es um ein höchst erfolgreiches Geschäftsmodell, das ähnlich auch in unseren Nachbarländern, in Österreich, Frankreich und der Schweiz praktiziert wird. Firmen kaufen oder leasen zu vergünstigtem Preis Neuwagen und versteuern die Ausgaben als Betriebskosten. Die Wagen – das ist der Clou – werden nur wenige Jahre genutzt, dann füttern sie den Gebrauchtwagenhandel. Durch die 1 Prozent-Regel bleibt das System für alle Nutznießer lohnend. Wieviel an Steuereinnahmen der Staat durch das Dienstwagenprivileg einbüßt, ist schwer zu ermitteln. Die meisten Schätzungen gehen von 5 Milliarden aus. Alle Versuche, diesen Schatz für den Bundeshaushalt zu heben, sind bisher gescheitert.

In der Debatte um das Dienstwagenprivileg bleibt die Autoindustrie im Verborgenen. Stattdessen wird der pragmatische, unbürokratische Charakter der Pauschalbesteuerung betont. Wolle man gar stattdessen zum händischen Fahrtenbuch zurückkehren? Gerne wird die Kritik auch als Neidhammeldebatte abgetan. In einer Art Flucht nach vorn wurde der Nutzen des Dienstwagenprivilegs für den Klimaschutz ins Spiel gebracht. Vollelektrische Wagen müssen bis 2025 nur mit 1/4 % des Neuwerts versteuert werden, eine erhebliche zusätzliche Subvention.

Kommen wir zum Schluss zurück auf den Begriff Privileg. Er war bereits mittelhochdeutsch als prīvilēgie bekannt, entlehnt aus lateinisch privilegium. In der Frühen Neuzeit wurde das lateinische Wort wiederbelebt und erst im 19. Jahrhundert zu unserem Privileg verkürzt. Privilegium setzt sich zusammen aus prīvus ‚besonders‘ und lex ‚Gesetz‘. Es bezeichnete schon bei den Römern ein besonderes Recht, ein Vorrecht. Charakteristisch für alle Privilegien ist ihre dauerhafte gesetzliche Verankerung, wie das Dienstwagenprivileg im Einkommensteuergesetz § 6.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an:horst.munske@fau.de.


4. Kultur

Sprache der Autofahrer

Die Straßenverkehrsordnung fasst die Vorschriften für den allgemeinen Straßenverkehr zusammen. Darüberhinaus gebe es jungeschriebene Verkehrsregeln, berichtet echo24.de. Es gelte eine Art „Geheimsprache“ unter Autofahrern. Dazu zählt etwa das Handzeichen als Dankeschön, die Lichthupe als Warnsignal oder Anerkennung, sowie der Blickkontakt, um das Verhalten an Kreuzungen zu klären. Diese Gesten seien zwar gesetzlich nicht definiert, unter den Autofahrern herrsche jedoch ein gegenseitiges Verständnis, diese Regeln einzuhalten. Offenbar sei Priorität die Rücksichtnahme auf andere Verkehrsteilnehmer, insbesondere die Fußgänger. (echo24.de)


5. Berichte

Professor Krämer über die Rolle des VDS

Der VDS-Vorsitzende Prof. Walter Krämer stellte sich in der vergangenen Woche den Fragen des Corrigenda-Chefredakteurs Lukas Steinwandter. Krämer verteidigte die Neutralität des Vereins und wies darauf hin, dass der VDS nicht spalte, sondern vereine. Die Förderung und Weiterentwicklung der deutschen Sprache sei das wichtigste Ziel. Krämer betonte, der VDS mit seinen rund 36.000 Mitgliedern vereine Anhänger unterschiedlicher politischer Lager. Für extremistische Positionen gebe es jedoch keinen Platz, erklärt der VDS-Vorsitzende. Bestimmend seien dafür das Grundgesetz und die Vereinssatzung. Verstöße wurden immer und werden auch weiterhin mit einem Ausschluss geahndet. Krämer betont, offenbar brauche es Mut, für die deutsche Sprache und ihre Schönheit einzustehen. Die deutsche Sprache müsse, unabhängig von politischen sowie kulturellen Debatten und Meinungen, weiterhin als Inspiration für große Literatur und Dichtung weiterleben. (corrigenda.online)


6. Kommentar

Das generische Femininum als Kompromiss

„Feministische Linguistik“ erinnert an Begriffsbildungen vor 90 Jahren, als sogar Begriffsungetüme wie die „Deutsche Physik“ entstanden. Eine Wissenschaft von vornherein auf eine Richtung festzulegen, bedeutet sie zu behindern. In freier (!) Wissenschaft lebt stets die Möglichkeit (das Risiko), dass man am Ende einer Untersuchung zu anderen Ergebnissen kommt als anfangs angenommen. Wo diese Freiheit unterbunden wird, kann Meinung entstehen, aber keine Wissenschaft. Insofern ist feministische Linguistik ein Humbug, Männerlinguistik wäre keinen Deut besser. Interessant bleibt aber Luise Puschs Vorschlag, das generische Maskulinum durch ein generisches Femininum zu ersetzen. Laut meiner persönlichen – nicht repräsentativen – Umfrage hätten sich damit die Männer hierzulande sogar angefreundet, und sei es nur um des lieben Friedens willen. Nur hätte auch das nichts genutzt, und deshalb ist die Idee auch sogleich gestorben: So funktioniert Sprache nicht, da gibt es keinen Hebel, keine Knöpfchen, keine LED-leuchtenden Erfolgsmeldungen. Es gibt nur das Volk, und das spricht nun mal, wie ihm der Schnabel wächst, daran scheitern auch die besten Vorschläge. Das generische Femininum war so einer. (Oliver Baer)

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Jeanette Zangs

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