1. Presseschau vom 3. bis 9. August 2018
- Musik sehen
- Vom Deppenapostroph zum Deppenleerzeichen
- Neuer Direktor am Institut für Deutsche Sprache
2. Unser Deutsch
- garnicht
3. VDS-Termine
4. Literatur
- Von der Antike bis heute
5. Denglisch
- Augen auf bei der Partnerwahl
1. Presseschau vom 3. bis 9. August 2018
Musik sehen
Foto: Pixabay StockSnap CC0-1.0 Lizenz
Nachrichten oder Filme für Gehörlose sind heutzutage keine Ausnahme mehr, in vielen anderen Lebensbereichen bleibt die Integration von Hörbehinderten jedoch oft auf der Strecke. Aber ausgerechnet in der Musikwelt, die Betroffenen bisher meistens unzugänglich blieb, tut sich seit ein paar Jahren einiges. Dabei werden die Lieder nicht einfach nur übersetzt, sondern die Texte während eines Konzertes mithilfe von Tanz, Mimik, Gestik und der Gebärdensprache selber visualisiert. Videos solcher Dolmetscher gehen seitdem viral, unter anderem die der ersten deutschen Musik-Gebärdendolmetscherin Laura Schwengber, die momentan die großen deutschen Festivals begleitet und so versucht, „Brücken zwischen tauben und hörenden Menschen zu bauen“, wie sie über ihre Arbeit sagt. Zuletzt stand sie beim Wacken Open Air vor rund 75.000 Besuchern auf der Bühne und übersetzte Texte von Rock-, Punk- und Metal-Gruppen. Doch auch klassische und instrumentale Stücke übersetzt Schwengber, indem sie Töne in Bewegungen umwandelt und die Geschichte, die ein Lied erzählt, mithilfe ihres Körpers zum Ausdruck bringt. Wie Musik in Gebärdensprache aussieht, sehen Sie unter lauramschwengber.de. (jetzt.de)
Vom Deppenapostroph zum Deppenleerzeichen
Dem VDS ist er schon lange ein Dorn im Auge, nun beschäftigt sich auch die deutsche Forschung mit dem sogenannten Deppenapostroph und weiteren Phänomenen, wie dem der Auflösung zusammengeschriebener Wörter. An Bayerischen Universitäten sind diese Entwicklungen seit einiger Zeit verstärkt Teil der sprachwissenschaftlichen Forschung, darunter an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, die kürzlich eine Arbeit mit dem Titel „Deppen Leer Zeichen“ veröffentlichte. Demnach stünde letztgenanntes Phänomen in direktem Zusammenhang mit der Autokorrektur von Mobilgeräten, die ihnen unbekannte Komposita häufig als getrennt geschriebene Wörter vorschlagen. (sueddeutsche.de)
Neuer Direktor am Institut für Deutsche Sprache
Henning Lobin, Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen, ist neuer Direktor des Instituts für deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. Sein Vorgänger, Ludwig Eichinger, wurde Ende Juli in den Ruhestand verabschiedet. In mehreren Interviews umriss Lobin sein neues Aufgabenfeld und gab zum Teil überraschende Antworten. Die aktuelle Debatte zur sprachlichen Verrohung, auch durch Politiker, hält er für übertrieben. Provokante Wortbildungen habe es immer schon gegeben, lediglich die „Echokammer des Internets sorgt für Zuspitzung – eine Änderung der sprachlichen Kultur sehe ich aber nicht.“
Lobin sehe sich eher als Botschafter der deutschen Sprache und weniger als einen Behüter. Wichtig sei für ihn die Vermittlung der deutschen Sprache: „Wenn wir sagen, es soll mehr Deutsch gesprochen werden, dann sollen Menschen in anderen Ländern mehr Deutsch lernen können.“ Hier sehe er den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und das IDS selbst in der Pflicht. Besonders nach dem Brexit gewinne seiner Meinung nach die deutsche Sprache in der EU an Gewicht: „Es wäre wünschenswert, wenn dort die deutsche Sprache breit gesprochen und verstanden würde – allerdings stellen Franzosen, Italiener oder Polen dieselben Ansprüche.“ Gelassen sehe er das Thema gendergerechte Sprache. Im persönlichen Bereich sei er zwar gegen Vorschriften, „im öffentlichen Bereich hingegen gibt es gesetzliche Vorgaben und die müssen umgesetzt werden.“
Die Stiftung IDS besteht seit 1964, gehört zur Leibnitz-Gemeinschaft und beschäftigt sich mit der „Dokumentation der deutschen Sprache in ihrem gegenwärtigen Gebrauch und in ihrer neueren Geschichte.“ Getragen wird das Institut jeweils zur Hälfte vom Land Baden-Württemberg und vom Bund. (swr.de, welt.de, focus.de, rnf.de, ids-mannheim.de)
2. Unser Deutsch
garnicht
Ein Leser bemerkt, dass ich eine Duden-Regel missachte, „[´ga:niçt] schreibe man gar nicht zusammen“, das sage schon diese Volksschul-Eselsbrücke. War es ein Versehen? Nein, es war Absicht. Warum?
Weil ich garnicht für ein Wort halte mit eigener Bedeutung, fester Konstruktion und der typischen Erstbetonung von Zusammensetzungen. Semantisch ist das Wörtchen garnicht ein verstärktes Negationszeichen. Die Konstruktion nennt man Zusammenrückung. Nebeneinander stehende Wörter, die syntaktisch verbunden sind, rücken zu einer Worteinheit zusammen. Dies findet seinen Ausdruck in der Erstbetonung der neuen Einheit. Das zweite Glied verliert gleichsam seine intonatorische Selbständigkeit, es wird herabgestuft zu einem abhängigen Element. Dies ist ein schleichender Prozess – von der syntaktischen Verbindung zur Wortbildung –, der oft lange Zeit keine eindeutige Zuweisung zulässt. Betroffen sind vor allem unflektierte Wörter. So sind in der Vergangenheit vor allem neue Adverbien wie soviel, genauso, Präpositionen wie anstatt, mithilfe und Konjunktionen wie obwohl, trotzdem gebildet wurden.
Schon Konrad Duden stellte in seinem epochemachenden ‚Vollständigen Orthographischen Wörterbuch‘ von 1880 gar nicht in die Nachbarschaft von mitnichten und zunichte machen, die man getrennt oder zusammenschreiben könne. Garnicht ist inzwischen, nach über 100 Jahren, dieser Tendenz gefolgt. Nur die Verwalter unserer Rechtschreibung haben es nicht bemerkt. Oder sie wollen von ihren starren Regeln nicht abgehen. Wir Sprachbenutzer haben die Freiheit, auch beim Schreiben unserem Sprachgefühl zu folgen. Das ist nicht nur erlaubt, sondern geboten, damit Rechtschreibung der Entwicklung der gesprochenen Sprache gerecht wird.
Und was ist mit der witzigen Eselsbrücke „[´ga:niçt] schreibt man gar nicht zusammen“? Sie hat ausgedient. Sie war ein Versuch, das Sprachgefühl durch Regellernen zu ersetzen. Das tut der Ehe von Sprechen und Schreiben nicht gut.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. VDS-Termine
keine Termine
4. Literatur
Von der Antike bis heute
Bei Bauarbeiten für das neue Kirchenzentrum in der Kölner Innenstadt haben Archäologen einen einzigartigen Fund gemacht. Bereits 2017 wurden Teile eines aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. stammenden großen römischen Baus entdeckt, der als öffentliches Gebäude gedient haben musste. Nach weiteren Ausgrabungen steht nun fest: Bei dem Gebäude handelt es sich um die wohl älteste Bibliothek Deutschlands. Zahlreiche kleine Nischen weisen darauf hin, dass dort Schriftrollen gelagert wurden. Bis zu 20.000 Stück wurden wohl in dem vermutlich zweistöckigen Bau aufbewahrt. Die Überreste der Bibliothek sollen nun in das neue Gemeindezentrum integriert werden. (wissenschaft.de)
Schriftrollen liest zwar heute kaum noch jemand, Befürchtungen, dass der gedruckte durch den digitalen Text vor allem bei der jungen Generation verdrängt werden könnte, lassen sich nach neuesten Erhebungen jedoch widerlegen. Laut der Kinder-Medien-Studie 2018 lesen drei Viertel der 4 bis 13-Jährigen mehrmals wöchentlich Bücher und Zeitschriften. Gedrucktes sei demnach weiterhin „unersetzlich“, während die Digitalisierung in dem Alter noch keine große Rolle spiele, beruhigt Deutschlandfunk Kultur. (deutschlandfunkkultur, kinder-medien-studie)
5. Denglisch
Augen auf bei der Partnerwahl
Der erste Eindruck zählt, das gilt besonders in der Liebe. Diese Erfahrung hat auch ein anonymer Autor für das Magazin jetzt gemacht, der von einem unangenehmen ersten Treffen mit einer ihm vorher unbekannten Dame berichtet. Schon die Planung der Verabredung hätte ihm eine Warnung sein sollen, bemerkt er im Nachhinein. „Wir könnten einfach zum Späti, uns zwei drinks graben und an der Straße chillen“, war für ihn keine ideale Ausdrucksweise, aber eine Chance wollte er ihr dennoch geben. Doch es wurde noch schlimmer: „Ich nahm mir vor, mich darauf zu konzentrieren, wie viele ihrer Sätze kein englisches Wort enthielten. Für die kommende halbe Stunde reichten zwei Hände zum Zählen.“ Dass aus dem ersten kein zweites Rendezvous wurde, ist nicht verwunderlich. Genauso wenig wie die Feststellung, dass Denglisch nicht nur sehr nervig, sondern auch wahnsinnig unattraktiv sein kann.
Auch der Kolumnist Hans Kratzer bemerkt in der Süddeutschen Zeitung den Wahn zum Denglischen, der spätestens jetzt auch in Bayern, besonders in der Gastronomie, überhand genommen habe und in erster Linie mit Angeberei und Selbstverleugnung zusammenhänge. Dabei gelte wohl dasselbe wie auch bei Verabredungen: Versucht man auf Denglisch für sich zu werben, erreicht man in der Regel das Gegenteil, nämlich Abschreckung – vor allem, wenn rund die Hälfte der Deutschen kein Englisch verstehe, schreibt Kratzer und verweist witzelnd auf den Englischlehrer und VDS-Mitglied Franz Aschenbrenner, der im Notfall bei Verständigungsproblemen gleich übersetzen könne. (jetzt.de, sueddeutsche.de)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache.
RECHTLICHE HINWEISE
Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Lea Jockisch
© Verein Deutsche Sprache e. V.