Infobrief Nr. 441 (47. Woche)

1. Presseschau

  • Jugendwort des Jahres
  • Rechtschreibrat zum Gendersternchen
  • Elsass: klares Zeichen für Sprache und Kultur

2. Unser Deutsch

  • Wende

3. Berichte

4. VDS-Termine

5. Musik

  • Heimspiel in Muttersprache
  • Weltberühmtes Lied

6. Denglisch

  • Outside the box

7. Kommentar

 

1. Presseschau

Jugendwort des Jahres

Bild: pixabay / StockSnap, CC0-Lizenz

Ehrenmann ist das Jugendwort des Jahres 2018. So wird jemand bezeichnet, der einem anderen, zumeist ohne Eigennutz, etwas besonders Gutes tut. Es bedeutet Anerkennung und enthält Dank. Die Jury hat dieses Wort aus den zehn beliebtesten Wörtern einer Internetabstimmung ausgewählt. Den ersten Platz hatte dort der Ausdruck verbuggt belegt, es bedeutet „voller Fehler“ oder „falsch gestrickt“, das Wort hat seinen Weg über die Computerfachsprache in die Jugendsprache gefunden. Anders als Gammelfleischparty, das im Jahr 2008 ausgewählt wurde, gehört Ehrenmann tatsächlich zum häufig genutzten Wortschatz von Jugendlichen. Den Ehrenmann gibt es übrigens auch in der ­ausschließlich binär gegenderten Form als Ehrenfrau. (langenscheidt.comdjmag.de)

 

Rechtschreibrat zum Gendersternchen

Der Rat für deutsche Rechtschreibung gibt weiterhin keine Empfehlung zur geschlechtergerechten Sprache heraus. Hauptsächlich debattiert wurde nun in Passau die Schreibweise mit dem Gendersternchen, auch als (Gender-)Asterisk bezeichnet, wie bei Leser*in. Der Rat befand, dass „das Anliegen der sprachlichen Kennzeichnung geschlechtlicher Diversität als solches wichtig und ein potenzielles Gebiet orthografischer Neuerungen“ sei. Eine Festlegung sei aber angesichts der aktuellen Entwicklung, die noch „zu sehr im Fluss“ sei, nicht angezeigt. Eine verfrühte Regelung könne die Entwicklung beeinflussen. Hier zeigt sich die empirische Position des Rates für deutsche Rechtschreibung, die ihn von der Académie Française unterscheidet; diese hatte zur Pünktchen-Schreibung in Frankreich klar Stellung bezogen (vgl. vds-ev.de). Das Thema soll weiterhin beobachtet und später erneut vom Rechtschreibrat aufgegriffen werden. (scilogs.spektrum.debayerische-staatszeitung.dedeutschlandfunk.de)

 

Klares Zeichen für Sprache und Kultur im Elsass

Da staunten die Elsässer ebenso wie die zahlreichen Touristen und Europapolitiker. An dem Straßburger Prachtgebäude, dem Münster, wehte am 16. November 2018 eine rot-weiße Fahne. Seit 1872 ist Rot und Weiß die Farbe des selbstbewussten Elsass, seit 1911 gibt es dazu das Fahnenlied, einer Art elsässische Nationalhymne. Ursache dieser Protestaktion bilden die Pläne der französischen Zentralregierung, das Departement Elsass-Lothringen in ein neues, riesiges Departement einzugliedern, in dem es fast unmöglich sein wird, den regionalen Eigenarten wie der Regionalsprache (Dialekt und Hochdeutsch) entsprechenden Raum zu geben. Schon jetzt hat das Deutsche in beiden Varianten einen ausgesprochen schweren Stand im Elsass, aber es hat – wie auch diese schöne Aktion zeigt – viele Freunde im Land.
Reiner Pogarell

 

2. Unser Deutsch

Wende

Ein fester Begriff in der politischen Erinnerung und der Debatte um sie. Gemeint ist die friedliche Revolution in der DDR, die Öffnung der Berliner Mauer und in der Folge der sogenannte Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland, ein Anschluss, wie andere es nannten. Man weiß nicht, wer dies Wort als erster mit der neuen Bedeutung aufgeladen hat. Ich vermute, es kam aus dem Osten. Dort war das Ende der DDR herbeigesehnt worden. So verbindet sich mit der Wende die Hoffnung auf grundlegende Besserung, auf wirtschaftlichen Aufschwung, auf Reisefreiheit, auf wirklich freie Wahlen. Es ist ein kurzer Zeitraum um 1989/1990 gemeint, die Jahre danach werden schon als Nachwendezeit bezeichnet, man sagt nach der Wende und kommt nun auf die Enttäuschungen zu sprechen, den Zusammenbruch der Industrie, den Verlust vertrauter Arbeitsplätze. Plötzlich das kollektive Gefühl, abgehängt zu sein gegenüber dem Westen, den man aus der Ferne so bewundert und beneidet hatte.
Die neue Bedeutung knüpft an bisherigen Gebrauch des Substantivs Wende an. Es ist eine alte Abstraktbildung (althochdeutsch wentī zum Verb wenten), die allgemein einen deutlichen Wandel, auch eine Richtungsänderung bezeichnet, heute z. B. beim Segelsport (das Wendemanöver an der Boje), beim Schwimmwettbewerb (die Kehrtwende am Anschlag), gerne auch, um den Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert als Jahrhundertwende zu bezeichnen. Was ist das Besondere an dem neuen Gebrauch von Wende? Dass einem epochalen Ereignis ein eigener Name gegeben wurde. Es ist, als wenn die Ereignisse im Herbst 1989 sich selbst aus dem Reservoir des deutschen Wortschatzes ein passendes Wort ausgesucht hätten. Schlagartig steigt die Frequenz von Wende im täglichen Gebrauch, in Zeitungen und Nachrichten. Aus einem Allerweltswort ist ein politischer Begriff geworden.
Ähnlich erging es uns schon einmal. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Plötzlich war das Wort da: Zusammenbruch. Die Nazi-Herrschaft war beendet, die Städte zerstört, das Land in Besatzungszonen eingeteilt und von Militärregierungen verwaltet. Millionen Flüchtlinge aus dem Osten suchten eine neue Heimat. Hunger, Kälte, Wohnungsnot – der Begriff Zusammenbruch fasste rückblickend alles zusammen und legt es gleichsam in der Vergangenheit ab. Danach begann, zumindest im Westen, jener sagenhafte Aufschwung, der den Namen Wirtschaftswunder erhielt.
Das zeichnet Sprache aus. Sie steht immer bereit, neuen Ereignissen, neuen Sichtweisen, neuen Lebensformen und natürlich der Unzahl neuer Produkte einen eigenen Namen zu geben. Wende und Zusammenbruch haben eine Nation bewegt und sind in diesen Worten dauerhaft festgehalten.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

 

3. Berichte

VDS im Münsterland: Kulturabend „Sehnsucht Frieden“ mit Literatur und Musik: Mit stillem Ernst vorgetragen (muensterschezeitung.de)

 

4. VDS-Termine

24. November, Region 89 (Ulm)
Lesung mit Wjatscheslaw Kuprijanow (Eintritt frei)
Zeit: 15:00 Uhr
Ort: Café Herzdame, Dominikus-Zimmermann-Str. 3, 89312 Günzburg

27. November, Region 01 (Dresden, Riesa)
Mitgliedertreffen und Führung durch das Jagdschloss Graupa mit anschließendem Vortrag: „Richard Wagner und die deutsche Sprache“
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Jagdschloss Graupa, Tschaikowskiplatz 7, 01796 Pirna (erreichbar mit der Buslinie 63)
Eintritt: 5 Euro
Anmeldungen: 0351-4970413

27. November, Region 67, 68, 69 (Rhein-Neckar)
Mitgliederversammlung mit Wahl der Regionalleitung
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Gastwirtschaft „Epirus“, Augusta-Anlage 42, 68165 Mannheim

 

5. Musik

Heimspiel in Muttersprache

Das neue Programm des Dresdner A-cappella-Quartetts „medlz“ besteht nur aus deutschsprachigen Liedern. „Uns wurde einmal mehr bewusst, wie sehr wir unsere Muttersprache lieben. Sie ist vielseitig, verspielt und kreativ. Sie kann Gänsehaut und Tränen genauso wie ein Lachen bescheren. Sie kann knallhart und direkt wie auch charmant und subtil sein“ – diese Erkenntnis traf die Mitglieder der Gruppe beim Hören eines Albums von Regy Clasen. Das Programm soll aus Titeln ganz unterschiedlicher Musikrichtungen zusammengesetzt sein. Unter anderem werden auch das beliebte Lied „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten sowie Titel von Rammstein zu hören sein. Die Mischung aus eher düsterer, aggressiver Musik und sanftem Chorgesang macht diese deutschsprachige Musik auch bei Chören im Ausland beliebt. (sz-online.deyoutube.comyoutube.comyoutube.com)

 

Weltberühmtes Lied

„Stille Nacht, heilige Nacht“ zählt wohl zu den schönsten und bekanntesten Liedern der Welt. Sein Text wurde in über 300 Sprachen übersetzt, die Melodie in unzähligen Kompositionen verarbeitet. Die Uraufführung jährt sich in diesem Jahr zum 200. Mal. Damals wurde das Lied zweistimmig mit Gitarrenbegleitung zur Christmette aufgeführt, denn die Orgel der Kirche war defekt. Der deutschsprachige Text sorgte dabei für Unmut: Liturgische Gesänge waren nur in lateinischer Sprache erlaubt. (meinbezirk.at)

 

6. Denglisch

Outside the box

„Denk mal outside the box“, diese Aufforderung ist öfter zu hören, meist beim Brainstorming, wenn Arbeitgeber oder Arbeitsgruppenleiter kreative neue Ideen aus ihren Mitarbeitern herauskitzeln wollen. Das Wort box wird aber eingedeutscht als „die Box“ nicht nur für Pappkartons, Pferdestellplätze oder zu überwindende Denkmuster verwendet. Es wird auch in der Fußballsprache verwendet und bezeichnet dort den Strafraum oder Sechzehner. Armin Veh, Sportchef des 1. FC Köln, beanstandet solche Anglizismen und erweist damit Konrad Koch Ehre, der seinerzeit den Fußball nach Deutschland importierte und sich für viele Fachbegriffe deutsche Entsprechungen ausdachte; ein wichtiger Schritt, um die englische „Fußlümmelei“ in Deutschland populär zu machen. (general-anzeiger-bonn.de,
suedkurier.de)

 

7. Kommentar

Die Ausdrucksweise im Rat für Rechtschreibung folgt einem alten Missverständnis: „Wir müssen zunächst mal schauen, wie die gesprochene und dann die geschriebene Sprache sich entwickelt und ich rate zur Gelassenheit“, sagt sein Vorsitzender, Josef Lange. Mir scheint, da werden Ursache und Wirkung verwirbelt. Entwickeln können wir uns, die wir mit der Sprache umgehen. Die Sprache kann sich nicht entwickeln. Sprache ist kein Lebewesen, die entwickelte Sprache ist das Ergebnis unseres Umgangs mit der Sprache. Aufrichtiger wäre wohl die Erkenntnis: Wir müssen unser Bewusstsein, unsere Wahrnehmung schärfen, dann ergibt sich von alleine, mit welchem Taktgefühl wir uns äußern ­und auf welchen Unfug wir gleich verzichten.

Oliver Baer


 

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

Redaktion: Oliver Baer

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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