1. Presseschau
Äußerungen der Fledermäuse vorhergesagt
Man kennt das: Wir beginnen zu sprechen, ohne genau überlegt zu haben, was wir sagen und wie wir es formulieren wollen. „Erst denken, dann sprechen‟ ist daher ein gut gemeinter Ratschlag, der durchaus wissenschaftliche Relevanz hat. Forschern ist es nun gelungen, sprachliche Informationen wahrnehmbar zu machen, bevor sie geäußert werden – allerdings nicht beim Menschen, sondern immerhin bei Fledermäusen.
Die Wissenschaftler haben die Hirnaktivität sowie die Laute der Tiere untersucht. Sie konnten vorhersagen, welchen Laut diese von sich geben würden, wenn eine bestimmte Gruppe von Nervenzellen Signale feuert. Natürlich handelt es sich dabei nicht um komplexe Sprache, sondern es geht zunächst nur um die Unterscheidung: Dienen die Laute der Echo-Ortung oder sind es Laute zur Kommunikation? Tatsächlich konnten die Forscher eine halbe Sekunde vor der Äußerung vorhersagen, was das Tier „sagen‟ werde.
Da die Verbindung zwischen Hirnaktivität und Sprache beim Menschen ganz ähnlich funktioniert wie bei den Fledermäusen, sind diese Erkenntnisse für die Medizin interessant. Denn bei vielen Krankheiten und Störungen ist das Sprachzentrum im Gehirn direkt betroffen, etwa beim Stottern, bei der Parkinson-Krankheit oder beim Tourette-Syndrom, bei dem Wörter und Laute unwillkürlich ausgestoßen werden. Weitere Forschungen sollen jetzt helfen, diese Krankheitsbilder besser zu verstehen. (laborpraxis.vogel.de)
Sprache in Zeiten von Corona
Das Corona-Virus ist in diesen Tagen allgegenwärtig – es prägt nicht nur unsere Lebenswelt, sondern auch die Sprache, die wir sprechen. Floskeln wie „Bleib gesund“ oder „Pass auf dich auf“ blühen wieder auf. Auch in der beruflichen E-Mail-Korrespondenz findet man nun oft diese Ausdrücke. In der Fachsprache sind ebenfalls Änderungen zu beobachten: Es heißt „das Virus“ – nur umgangssprachlich sagt man „der Virus“. Beides ist nicht falsch, jedoch wird „der Virus“ aktuell immer häufiger verwendet, sogar von Fachärzten. Die Berliner Zeitung spekuliert außerdem bereits, ob das Wort „Corona“ zum Wort des Jahres 2020 gekürt werden könnte.
Neue Anglizismen gibt es zudem: „Social Distancing“ und „Flatten the Curve“ machen in den Sozialen Medien die Runde. Vor allem der Begriff des „Social Distancing“ sei nicht durchdacht gewählt, um die aktuelle Lage des gesellschaftlichen Umgangs zu erklären, sagt der Linguist Anatol Stefanowitsch. Ursprünglich bedeutete er im Englischen „gesellschaftliche Abgrenzung“. Im Zusammenhang mit Corona meint er jedoch das „Nicht-Berühren“; „Kontaktverbot“ sei damit nicht gemeint, da die modernen Medien und Telekommunikationsmöglichkeiten den Kontakt immer noch erlauben.
Neben den Anglizismen sticht auch die Häufigkeit medizinischer Begriffe ins Auge, wie es sie sonst eher in Fachzeitschriften gibt. Das Corona-Virus ist greifbar und nah – und so hat die Sprache eine Barriere überwunden, die sonst durch Ärzte und medizinisches Fachpersonal unsichtbar eingehalten wird. Hinzu kommt die Angst, die bestimmte Begriffe unwillkürlich hervorrufen. „Pandemie“, „Ausgangssperre“ und „Quarantäne“ sind Dinge, die man ungerne selbst erleben möchte. Sorgen und Ängste begleiten die Berichterstattung und sind kaum von medizinischen Erkenntnissen und Fakten zu trennen.
Dabei könne die Sprache auch genutzt werden, um Solidarität zu schaffen, sagt der Sprachwissenschaftler Ekkehard Felder. Durch bewusst empathische Ansprache wird ein Wir-Gefühl geschaffen, das eine Gesellschaft einen kann und ihr die Kraft gibt, eine schwere Zeit zu überstehen.(forschung-und-lehre.de, berliner-zeitung.de, bnn.de, deutschlandfunkkultur.de)
Google übersetzt gesprochene Sprache
Nie mehr Probleme beim Einkaufen im Urlaub! Google wird für Mobiltelefone mit dem Betriebssystem Android bald eine neue Version seiner Übersetzer-App anbieten. Damit soll gesprochene Sprache direkt als geschriebene Version in der ausgewählten Sprache erscheinen. Auch die deutsche Sprache wird angeboten neben Englisch, Französisch, Russisch, Hindi und Thai. Bisher konnte die App bereits einzelne Wörter, aber keine längeren Texte übersetzen. Voraussetzung ist allerdings, dass es möglichst wenig störende Hintergrundgeräusche gibt. (heise.de)
Verständigung durch Farbwechsel
Kommunikation gilt als nachweisbar im verbalen Umgang, durch Gestik, durch Mimik – und nun auch durch Farbwechsel. Beobachtet wurde das an Humboldtkalmaren. Sie leben vor allem an der Pazifikküste Nord- und Südamerikas und jagen im Rudel. Sogar in den Tiefen des Meeres leuchten ihre Körper – und diese Biolumineszenz nutzen sie offenbar, um ihr Verhalten bei der Jagd abzustimmen. Durch Veränderungen der Farben und Muster übermitteln die Tiere zum Beispiel, wer gerade angreifen will. (tauchjournal.de)
2. Unser Deutsch
Diglossie
Ich will heute versuchen, einen sprachwissenschaftlichen Begriff zu erläutern, der seit über 50 Jahren die Debatte über Zweisprachigkeit und Sprachpolitik beherrscht. Erfunden hat das Fachwort der amerikanische Soziolinguist Charles A. Ferguson mit dem Aufsatz Diglossia in der Zeitschrift Word (15, S. 325-340). Er entlehnt dafür das griechische Wort für Zweisprachigkeit διγλωσσία (diglossía) und gibt ihm eine eigene Bedeutung, indem er einen besonderen Typ von Zweisprachigkeit in einer Gesellschaft beschreibt. Eines seiner vier Beispiele ist das Verhältnis von alemannischen Dialekten (‚schwyzerdütsch‘) und hochdeutscher Standardsprache in der Schweiz, das noch heute weitgehend besteht. Ferguson beschreibt, wie diese beiden Varietäten des Deutschen in klarer funktionaler Differenzierung gebraucht werden: Schwyzerdütsch – er nennt es die Low Variety – beherrscht den alltäglichen mündlichen Sprachverkehr, die Standardsprache den gesamten Schriftverkehr sowie (mündlich) formelle Kommunikationen. Diese nennt er High Variety und deutet mit damit auch das unterschiedliche Prestige beider Sprachvarianten an. Ein wesentlicher weiterer Unterschied besteht in der Art des Spracherwerbs: Die Low Variety lernt man als Muttersprache in der Primärsozialisation, die High Variety erst sekundär in der Schule. Sie ist stärker normiert und komplexer in ihrem grammatischen Aufbau und ihrer lexikalischen Breite. Andere Beispiele – das französisch basierte Kreol auf Haiti und die französische Standardsprache sowie die Umgangssprachen in den verschiedenen arabischen Ländern und das klassische Arabisch – zeigen, dass die Diglossie ein verbreitetes Phänomen ist.
Fergusons Terminus wird heute auch auf die funktionale Differenzierung genetisch verschiedener Sprachen angewandt, zum Beispiel auf das Verhältnis von Latein und europäischen Volkssprachen vom frühen Mittelalter bis zur Aufklärung. Heute sehen wir die jüngere Geschichte des Deutschen als einen kontinuierlichen Ausbau von einer Low Variety in einer Diglossiesituation zu einer High Variety, die schließlich das Latein, die ursprüngliche High Variety verdrängt hat. Zeugen dieses Prozesses sind die zahllosen Entlehnungen aus Latein und Griechisch, also unser Fremdwortschatz.
Das Thema hat jedoch auch eine aktuelle Dimension. Wir erleben seit Jahrzehnten, wie dem Englischen zunehmend die Rolle einer globalen High Variety zugewiesen wird, wie ganze Domänen der Schriftlichkeit, insbesondere die wissenschaftlichen Fachsprachen, aus den anderen Kultursprachen verschwinden, wie Englisch in der Werbung als die prestigeträchtigere Sprache eingesetzt wird. Sprachkritiker sehen hier bereits einen Abstieg zu ‚Vernakularsprachen‘, einen Rückschritt in die Rolle von Low Varieties.
Die Auseinandersetzung um Denglisch und Franglais ist deshalb keine Lappalie, sie ist eine Abwehr gegen den Verlust der Muttersprache als High Variety.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Kultur
Diskriminierende Sprache
Wenn es um Hautfarben geht, begibt man sich sprachlich häufig auf eine Gratwanderung. Wörter und Begriffe sind, historisch bedingt, oft vorbelastet, obwohl sie einen einst neutralen Hintergrund hatten. Wenn Menschen eines Kulturkreises miteinander sprechen, befinden sie sich in einer Art Komfortzone, die sie nach außen abgrenzt. Wenn jedoch diese Kulturkreise aufeinandertreffen und sich überschneiden, können Missverständnisse entstehen. Während der Sender einer Information zum Beispiel eine Aussage auf die ihm bekannte Art macht, könnte der Empfänger der Nachricht bedingt durch seinen anderen kulturellen oder ethnischen Hintergrund diese Aussage falsch und daher als Beleidigung auffassen. Reden bedeute immer auch Risiko – zu diesem Schluss kommt die Autorin Teresa Koloma Beck, Professorin für Soziologie. Wichtig sei, sich mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen und auszutauschen. (zeit.de)
Kinder sollten mit Dialekten aufwachsen
Dialekte fristen immer häufiger ein Schattendasein. Zu diesem Schluss kommt der Salzburger Dialektforscher Hannes Scheutz. Während früher Dialekte gepflegt und weitergegeben wurden, herrsche heute eine Art Scham vor, wenn es um mundartliche Einschläge verschiedener Regionen geht. „Die Abwertung der Dialekte als mindere Sprachform hat eine lange Tradition. Die korrekte Ansicht, dass Dialekte vollwertige Sprachen mit geringerer Reichweite sind, hat sich nicht durchsetzen können“, so Scheutz. Er plädiert daher, zum Erhalt von Dialekten mit Kindern konsequent in der mundartlichen Sprache zu sprechen. An die Standardsprache würden Kinder schon allein durch den Medienkonsum, später dann durch die Schule herangeführt. (derstandard.de)
Kultur auf dem Sofa
„In Zeiten von Corona merken wir, wie sehr uns die Kultur fehlt“, so Ina Hartwig, Kulturdezernentin in Frankfurt. Deshalb entstehen zurzeit überall Alternativangebote: Konzerte werden ohne Publikum gespielt, Lesungen finden in den eigenen vier Wänden statt, und alles wird für die Zuschauer im Netz übertragen. Die Kulturschaffenden in Frankfurt, so Hartwig, gingen mit dieser Ausnahmesituation sehr erfindungsreich um. Die Kultur müsse gerade in dieser Zeit sichtbar bleiben – daher gibt es nun unter dem Namen Kultur auf dem Sofa eine Sammlung aller kulturellen Angebote in Frankfurt. Unterteilt nach Kunstsparten sind, neben musealen Angeboten, Wohnzimmerkonzerten, Theateraufführungen und Lesungen auch Podcasts und Grußbotschaften von Frankfurter Künstlern zu finden. (frankfurt-live.com, kultur-frankfurt.de)
4. Berichte
Mehrsprachigkeit in der EU
In der Europäischen Union sprechen knapp 20 Prozent der Menschen Deutsch als Muttersprache. Zusammen mit weiteren 10 Prozent, die Deutsch als Fremdsprache beherrschen, sprechen insgesamt rund 30 Prozent der EU-Bürger Deutsch. Im Arbeitsbetrieb der EU-Einrichtungen und in ihrer Außendarstellung überwiegen jedoch das Französische und insbesondere das Englische. Dietrich Voslamber, Leiter der VDS-Arbeitsgruppe „Sprachenpolitik in Europa“, sprach über dieses Thema mit Frank Burgdorfer, Vorstandsmitglied der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD), welcher auch der VDS angehört. Das Gespräch diente dazu, die politischen Forderungen der EBD für das nächste Jahr zu erarbeiten, die dann der Mitgliederversammlung zur Abstimmung gestellt werden.
Voslamber äußerte die Sorge, dass sich in den Mitgliedsstaaten viele von der EU abwenden könnten, wenn sich beispielsweise Ursula von der Leyen und die Europäische Kommission der Öffentlichkeit gegenüber vornehmlich auf Englisch präsentierten. Vielmehr sei es wichtig, Sprachenvielfalt in ganz Europa als etwas Bereicherndes und Sinnstiftendes anzuerkennen. Voslamber bedauerte, dass sich unter den gängigen Verfahrenssprachen der EU keine slawische Sprache befindet und schlug vor, den offiziellen Internetauftritt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab Juli 2020 sechssprachig zu gestalten: auf Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Polnisch. (netzwerk-ebd.de)
Kino für daheim
Der im vergangenen Jahr produzierte Film Thüringen, deine Sprache von VDS-Mitglied Gerald Backhaus ist ab sofort auf DVD erhältlich. Eine schöne Alternative für zu Hause, nachdem die Vorstellungstermine abgesagt wurden und alle Kinos geschlossen haben. Der Film handelt von Dialekten und Mundarten im Bundesland Thüringen. Erwerben kann man die DVD im Lesershop der Thüringer Allgemeinen: lesershop-thueringen.de.
5. Denglisch
Homeschooling
Mit den aktuellen Schulschließungen macht ein neuer Anglizismus die Runde: „Homeschooling“. Das Lernen von zu Hause bedeutet für viele eine Herausforderung – nicht nur für die Lehrer, die nun den Schulstoff per E-Mail, Videokonferenz oder Online-Plattform vermitteln müssen, sondern auch für die Schüler, die auf einmal ihre Lernprozesse selbst strukturieren sollen. Ebenfalls nicht leicht haben es die Eltern, die ihren Kindern die Arbeitsaufträge erklären müssen. Ein Gutes hat die ganze Situation jedoch: Eine Umfrage unter Coburger Schülern ergab, dass sich alle freuen, wenn die Schule wieder losgeht. Man lerne zwar daheim auch etwas, aber Schule mache mehr Spaß und die „Lehrer erklären es besser“. (infranken.de)
6. Termine
ABGESAGT! 28. März, Region ElfenbeinküsteDeutschlehrertag 2020: Der Deutschlehrerverband (AGERESCI) in Zusammenarbeit mit dem VDS-Elfenbeinküste und dem Goethe Institut veranstalten den Deutschlehrertag 2020 zum Thema: „ivorische Deutschlehrerkräfte-Herausforderungen und Aussichten“
Zeit: 8:00 – 17:00 Uhr
Ort: Goethe-Institut Abidjan, C 31 Abidjan, Elfenbeinküste
ABGESAGT! 30. März, Region 01 (Dresden, Riesa)Mitgliedertreffen mit Vortrag: Wie der Bergbau unsere Sprache veränderte
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Ortsamt Dresden-Loschwitz, Grundstr. 3, 01326 Dresden
ABGESAGT! 2. April, Region 28 (Bremen)Treffen der Sprachfreunde Bremen (Mitgliedertreffen)
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Luv, Schlachte 15, 28195 Bremen
ABGESAGT! 7. April, Region 18 (Rostock)Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock
ABGESAGT! 14. April, Region 65 (Wiesbaden/Kelkheim)Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Royal India, Bahnstr. 33, 65779 Kelkheim
IMPRESSUM
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke
© Verein Deutsche Sprache e. V.