1. Presseschau
Ist das Dialekt, oder kann das weg?
„Wallah ich schwör“, „Digga, voll korrekt, Ehrenmann“ – Jugendsprache klingt für Seniorenohren erst einmal fremd. Richtiges Deutsch sprechen die Jungen anscheinend nicht mehr. Sprachwissenschaftler sehen das differenzierter, manche plädieren dafür, von einer Varietät des Deutschen oder gar von einem Dialekt zu sprechen. Nach jahrelanger Forschung ist Heike Wiese der Ansicht, dass Lautverschiebungen und grammatikalische Veränderungen ganz normal seien, es habe sie in der Geschichte immer wieder gegeben. Auch eine veränderte Stellung des Verbs im Satz sei nicht neu. Teils ähnele sie sogar poetischen Ausdrucksformen, in denen mitunter auch grammatische Strukturen angepasst werden. Jugendsprache, oder auch Kiezdeutsch genannt, sei daher eher Dialekt als fehlerhafte Sprache, so die These, wofür Wiese viel kritisiert wird.
Das Kiezdeutsch der Poesie gegenüberzustellen, ist sicherlich schwierig. Die Satzstellungen mögen sich ähneln, die Intentionen sind jedoch andere. Ein Poet ändert seinen Satzbau für gewöhnlich, wenn Ästhetik, Klangbild oder Reimschema es erfordern – Kiezdeutsch hingegen ist gesprochenes Wort, das vor allem der Abgrenzung gegenüber anderen Altersgruppen dient. Dennoch argumentiert Wiese für die Vergleichbarkeit von Dialekt und Kiezdeutsch. Dialektsprecher seien meist in der Lage, zwischen Dialekt und Hochdeutsch umzuschalten. Je nach Kontext und Umgebung wird die Ausdrucksweise gezielt ausgewählt. Genauso verhalte es sich mit der Jugendsprache. Tatsächlich spricht kaum ein Jugendlicher mit seinen Eltern wie mit seinen Freunden. Wo es nötig ist, etwa bei Bewerbungsgesprächen, ist man um formal korrekte Sprache bemüht.
Ist Kiezdeutsch demnach nur eine sprachliche Varietät? Ein Soziolekt, der von bestimmten Altersgruppen gesprochen wird? Oder ein Ethnolekt, der auf fehlende sprachliche Förderung in zurückgeht? In der Debatte darüber sollte in jedem Fall das Verhältnis von Kiez- und Standarddeutsch in den Blick genommen werden. Das sieht auch Holger Klatte, Geschäftsführer des Vereins Deutsche Sprache, so. Das Standarddeutsche sei immerhin die Norm für gesellschaftliche Kommunikation und Integration. Mit der Einordnung als Dialekt werde das Kiezdeutsch aufgewertet und normalisiert. Das sei gefährlich, die Politik könne zu dem Schluss kommen, es sei ein neuer Dialekt, dieser müsse gefördert werden. Das Standarddeutsche dürfe seine Bedeutung für alle nicht verlieren. (ndr.de)
Fast zwei Drittel lehnen Gendersprache ab
Vor einem Jahr, nach Annalena Baerbocks denkwürdiger Wortschöpfung „Steuerinnenzahler“ (in der TV-Sendung von Anne Will), hatte die Welt am Sonntag eine Umfrage gestartet. Das Ergebnis damals: 56 Prozent der Befragten lehnten das Gendern ab. Dabei erweckten Meinungsführer in Politik und Medien den falschen Eindruck, sie sprächen für eine gendernbereite Mehrheit. Zunehmend war zu hören, man wolle nicht belehren, das Gendern sei nötig und angemessen. Der medial ausgeübte Druck schien sogar zu steigen.
Ein Jahr später hat nun die Welt am Sonntag ihre Frage wiederholt: Die Ablehnung ist sogar deutlich gestiegen. 65 Prozent der Befragten lehnen Gendersprache in Form von Zeichen (Sternchen, Doppelpunkt etc.) oder durch Partizipkonstruktionen (wie „Zuhörende“, „Zufußgehende“) ab. Sogar unter Anhängern der Grünen befürworten nur 47 Prozent das Sprachgendern. Die Ablehnung zieht sich durch alle Bevölkerungsgruppen. Selbst die jüngste Altersgruppe (18-39 Jahre) ist mit 54 Prozent dagegen; je älter die Befragten, desto stärker die Ablehnung. Weiterhin bleibt eine Mehrheit der Frauen (59 Prozent) abgeneigt. Auch der Bildungsstand wirkt sich kaum aus: Die Ablehnung liegt durchweg bei über 60 Prozent. Ein Verbot von Gendersprache, wie es seit kurzem in Frankreich für Schulen gilt, lehnt jedoch eine knappe Mehrheit (51 Prozent) ab. Daraus könnte man schließen, dass Viele weiterhin auf den Sieg der Vernunft hoffen. (welt.de (Bezahlschranke), infratest-dimap.de, businessinsider.de)
Gendern – eine Inszenierung als besserer Mensch
Die Autorin und Journalistin Judith Sevinç Basad sieht im Gendern eine politische Agenda, die durchgesetzt werden soll. In einem Gastbeitrag in der NZZ stellt sie fest: Die sogenannten „Social-Justice“-Aktivisten vertreten die Theorie, dass Sprache Wirklichkeit schafft. Daher sehen sie im Gendern die Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern. Die Einteilung in Mann/Frau sei immer ein Machtverhältnis. Diese Annahme sei jedoch falsch, sagt Basad. Sie würden vergessen, dass das generische Maskulinum eben absichtlich nicht auf ein biologisches Geschlecht hinweist, sondern auf eine Gruppe, in der das Geschlecht des Einzelnen keine Rolle spielt: „Die Behauptung, dass das generische Maskulinum Frauen oder sexuelle Minderheiten ‚nicht mitmeine‘ oder ausschliesse, ist also Unsinn (statt: Blödsinn). Ein Generikum kann prinzipiell kein Geschlecht ausschliessen oder mitmeinen.“ An Grammatik seien Genderaktivisten allerdings nicht interessiert – ihnen gehe es nur um die Weiterverbreitung von Studienergebnissen, die den Einfluss von Sprache auf das Weltbild bewiesen.
„Wissenschaftliche Studien, die belegen, dass man durch die Veränderung der Sprache auch das Handeln der Menschen beeinflussen könne, gibt es nicht. Wenn diese Kausalität wahr wäre, müsste in Ländern mit genuslosen Sprachen wie der Türkei und Ungarn bereits ein queeres Matriarchat herrschen. Das ist nicht der Fall.“ Die Vergangenheit habe gezeigt, dass Frauen sich allein ohne Sprachveränderung immer stärker ihren Platz in der Gesellschaft erkämpft haben. Die drei mächtigsten Personen in Europa sind heute Frauen: Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Christine Lagarde. Gendern hingegen spalte die Gesellschaft und teile willkürlich ein in jene, die sich im Kampf für soziale Gerechtigkeit erheben und die anderen, die es nicht tun und daher rückständig, ja sogar „rechts“ seien: „Beim Gendern geht es vor allem um eines: sich selbst als den besseren Menschen zu inszenieren.“ (nzz.ch)
Gesellschaft für deutsche Sprache gegen Genderzeichen
Peter Schlobinski, Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat sich in einem Interview im Tagesspiegel gegen das Gendern per Zeichen ausgesprochen. Die GfdS hatte sich dazu schon im vergangenen Jahr gleichlautend positioniert, auch der Rechtschreibrat hatte sich im März gegen Doppelpunkte, Sternchen und ähnliche Konstruktionen ausgesprochen. Dieser Empfehlung sollten auch Behörden, Verwaltungen und Unis folgen, so Schlobinski. Diese Norm werde auch von der Kultusministerkonferenz unterstützt. Gendern durch Zeichen sorge für bizarre Formen im Ausdruck, die nicht nur das flüssige Erfassen eines Textes erschwerten, sondern auch keine konstanten Texte lieferten und zu linguistisch widersprüchlichen Formen führten. Die Nennung der Doppelformen (z. B. Bürgerinnen und Bürger) sei sinnvoller und sprachlich passender. (tagesspiegel.de)
Neue Latein-Vokabeln im Zeichen der Zeit
Latein ist tot – es lebe Latein! Auch wenn die Sprache nicht einmal mehr im Vatikan im alltäglichen Gebrauch ist, so ist sie noch lange nicht ausgestorben. In der Liturgie wird sie weiterhin genutzt, auch die Dokumente der Päpste sind weiterhin auf Latein verfasst. Eine Akademie im Vatikan ist damit beauftragt, Latein zu lehren und weiter attraktiv zu halten, damit es überlebt und der Zeit angepasst wird. Daher werden auch eher moderne Begriffe ins Lateinische übersetzt: Aus dem Computer wird „instrumentum computatorium“, eine E-Mail ist eine „litterae electronicae“, die Glühbirne heißt „lampada electrica“, und auch der Barkeeper hat eine lateinische Bezeichnung: „tabernae potoriae minister“. Ivano Dionigi, Lateinprofessor und Präsident der päpstlichen Lateinakademie in Rom, findet das sinnvoll und schlüssig: „Heute, da wir es mit immer neuen Phänomenen, Kulturen und Lebensrealitäten, sowie mit der Globalisierung zu tun haben, ist es äußerst positiv, eine weitere Zugangsmöglichkeit zu unserer Vergangenheit und unserer kulturellen Identität zu haben. Das hat mit einer bestimmten Religion nichts zu tun, es hilft uns aber, kulturell besser gerüstet zu sein.“ (deutschlandfunkkultur.de)
Grüne Jugend will Dorf umbenennen
Die grüne Jugend Segeberg möchte das Dorf Negernbötel umbenennen. Der Name schüre Rassismus und sei daher zu ändern. Dass der Name nichts mit dem Schimpfwort zu tun hat, wisse man, dennoch verweisen sie auf den Klang und die damit entstehende mutmaßliche Konnotation. Tatsächlich kommt Negernbötel aus dem Plattdeutschen. 1306 entstanden in der Nähe des Klosters Segeberg neue Siedlungen, plattdeutsch „Botele“. Die eine lag näher am Kloster („negern“), die andere weiter weg („fehren“). So entstanden die beiden Dörfer Negernbötel und Fehrenbötel. Die Bevölkerung lehnt das Ansinnen ab. Gegen Rassismus vorzugehen sei richtig und wichtig, aber den Namen eines Ortes zu ändern, der damit nichts zu tun habe, sei ein falsches Zeichen. „Eine Diskussion über einen uralten Dorfnamen, der eine ganz andere Bedeutung hat, bringt eher wenig“, werden zwei Bewohner in der Bild zitiert. (bild.de)
Red.: Vielleicht sollte man die Schweden ermuntern, das Zahlwort Sechs durch ein weniger anstößiges zu ersetzen: Die Zahl 6 heißt auf Schwedisch „sex“ und wird ausgesprochen wie das englische s-Wort.
BZ-Redaktion diskutiert über geschlechtergerechte Sprache
Viele Redaktionen diskutieren zur Zeit über den Sinn- und Unsinn des Genderns. Die Redaktion der Berliner Zeitung macht diese Diskussionen nun in der Reihe Debatte öffentlich. Redakteurinnen und Redakteure verdeutlichen in Meinungsartikeln ihre Haltung zur geschlechtergerechten Sprache. Journalist Ingo Meyer hält das Gendern für „eine sprachliche Katastrophe“, während sich die Redakteurin Antonia Groß für das Gendern ausspricht, denn nur so „können wir die verschiedenen Erfahrungen der Geschlechter markieren.“ Auch die Leser sind aufgerufen, sich an der Diskussion zu beteiligen. Die Lesermeinungen werden mitunter auch in der Druckausgabe des Blattes berücksichtigt. Zuschriften sind zu richten an: briefe@berliner-zeitung.de. (berliner-zeitung.de, berliner-zeitung.de)
Sprachnachrichten online mit Blätterfunktion
Die neue Ausgabe der Sprachnachrichten ist nun auch im Netz zu lesen, jetzt mit der neuen Umblätterfunktion, so als würde man mit zwei Fingern die nächste Seite aufschlagen. Ausprobieren lohnt sich: vds-ev.de.
2. Unser Deutsch
Geschlechtergerechte Sprache
Das Wort geschlechtergerecht ist ein Kampfwort der Gender-Bewegung. Es ersetzt zunehmend die bisherige Gleichstellung, eine vergleichsweise neutrale Bezeichnung. Vielleicht hat sie darum so viel bewirkt und mit der Einrichtung von Gleichstellungsbeauftragten amtliche Verankerung gefunden. Demgegenüber hat geschlechtergerecht – aus Sicht ihrer Benutzer – zwei Vorzüge: es benennt die Forderung nach Gleichstellung mit dem Hinweis auf das Geschlecht viel direkter. Und mit dem Adjektiv gerecht wird eine zentrale Maxime demokratischer Gesellschaften in Anspruch genommen. Gerecht sein soll der Lohn für gleiche Arbeit, gerecht sein soll die Behandlung beim Arzt, vor Gericht, bei Lohn und Rente in Ost und West. Alles was der Gerechtigkeit dient, wird selbstverständlich akzeptiert. So verleiht die Forderung nach geschlechtergerechter (katholischer) Kirche der Gleichbehandlung von Frauen sofort eine ganz neue Dynamik.
Auch die Sprache soll nun geschlechtergerecht werden. Wer dies ablehnt, muss sich künftig ärmlich fühlen. Als verstoße er gegen eine moralische Grundregel. Mit solchen, heißt es, könne man überhaupt nicht mehr diskutieren. So schotten sich die Verfechter des Genderns gegen unliebsame Argumente ab.
Gleichwohl ist es nötig, aus sprachwissenschaftlicher Sicht einiges klarzustellen. Und zwar zur Bedeutung von Sprache. Wir verstehen darunter zweierlei: 1. Sprache als ein Gesamtsystem von Zeichen und Regeln, 2. die konkrete Realisierung dieser Sprache im Gebrauch. Diese Unterscheidung von langue (1.)und parole (2.) des Genfer Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure wurde grundlegend für die moderne Linguistik. Auch beim Gendern sind diese beiden Bedeutungen von Sprache zu beachten. Bei der Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit kann es um zweierlei gehen: um die angemessene Verwendung der geltenden Sprachregeln in Wort und Schrift oder um den Umbau des Sprachsystems selbst. Das eine kennen wir schon aus der Anrede Meine Damen und Herren. Dies wird adaptiert in Doppeltnennungen wie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Bürger und Bürgerinnen. Die Movierung von maskulinen Personenbezeichnungen mit dem Suffix –in ist das einfachste Mittel, der Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit Rechnung zu tragen. Das hat sich in kurzer Zeit allgemein durchgesetzt, von der Beamtin bis zur Bundeskanzlerin. Viel weitergehend ist die Forderung, das Sprachsystem selbst umzugestalten. Dazu gehört u.a. die Einführung des sogenannten Gendersterns, zum Beispiel in der Pluralform Mitarbeiter*innen. Nicht nur der Stern gehört nicht in die Schreibung von Wörtern, mit der Endung –innen wird die feminine Form zur generischen erklärt, eine polemische Antwort auf das generische Maskulinum. Dies gehört mit Pronomina wie wer, man, jemand, niemand zum Kern des deutschen Sprachsystems. Dessen programmatische Verletzung wird von vielen Sprachbenutzern intuitiv als Sakrileg empfunden, als Missachtung ihrer Muttersprache.
Darum gilt es zu differenzieren zwischen geschlechtergerechtem Sprechen (und Schreiben) und der Forderung, das Sprachsystem geschlechtsbezogen umzubauen. Das eine ist eine Frage des angemessenen Sprachstils, das andere ein Wunsch ideologisch geleiteter Sprachpolitik.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Kultur
Wolfgang-Borchert-Lesung bei YouTube
Der Autor Wolfgang Borchert wurde nur 26 Jahre alt, dennoch gehört sein Werk zu den großen der Trümmerliteratur. „Draußen vor der Tür“ ist wohl das bekannteste. Es zeigte die Erfahrungen eines Heimkehrers aus dem Weltkrieg und wurde auf vielen Bühnen gespielt. Birgit Schönberger, zeitweiliges Mitglied des VDS-Vorstandes, liest anlässlich Borcherts 100. Geburtstages in der Reihe „Atempause“ aus „Schischyphusch oder der Kellner meines Onkels“. (youtube.com)
Max und Moritz als Revoluzzer?
Kein ganz abwegiger Gedanke, wenn man das sozialkritische Gesamtwerk Wilhelm Buschs mit aktuellen Mitteln wiedergibt. Den „Busch“ in die Gegenwart zu holen, war Ziel eines Themenabends im NDR. Wilhelm Busch sollte nicht nur als Autor, Maler und Zeichner verstanden werden, sondern auch als veritabler Kritiker von bürgerlichen Moralvorstellungen. Mit Formaten wie Poetry Slam und Beat-Boxaktualisieren junge Kulturschaffende das Werk Buschs. Ob die frechen Max und Moritz heute Teil von Fridays-for-Future wären, darüber denkt zum Beispiel der Poetry-Slammer Sebastian 23 nach. Auch dunklere Stellen des Schaffens Wilhelm Buschs werden näher betrachtet. So wird das Gedicht „Der Maulwurf“ thematisiert, das in einer Zeit der aufkommenden Judenfeindlichkeit verfasst wurde und Passagen aufweist, die man mittlerweile kritisch aufnimmt. Der Schauspieler Florian Hacke führt in seiner Bearbeitung des Gedichts allerdings alles zu einem guten Ende: „Aus fremd wird Freund, ich kann nur raten: Einfach mal was zusammen braten!“ Der gesamte Abend ist in der NDR-Mediathek abrufbar. (ndr.de)
Runen-Inschrift sorgt für neue Kontakt-Erkenntnisse
Im südmährischen Breclav wurde kürzlich ein Tierknochen mit sechs germanischen Runen gefunden, bei Forschern sorgt er für Furore. Der Fundort lässt darauf schließen, dass Stämme der Germanen und Slawen in dieser Region schon 600 nach Christus Kontakt miteinander hatten. Bisher ging man davon aus, dass Slawen und Germanen einander erst viel später begegneten. Wer die Runen geschnitzt hat, ist unklar – Germanen, die Handel trieben, oder Slawen, welche die Zeichen von Langobarden übernommen haben. Ein Forscher spekuliert, dass sie von einem Langobarden stammen könnten, der sich der Wanderung seines Stammes nach Italien nicht angeschlossen hatte. Der Fund könnte auch Erkenntnisse darüber bringen, wann die Alphabetisierung der Slawen stattgefunden hat. Bisher ging man davon aus, dass sie erst 300 Jahre später durch die byzantinischen
Gelehrten Kyrill und Method begann. (tagesspiegel.de)
4. Denglisch
Mit dem Charme einer Bedienungsanleitung
Der Journalist und ehemalige Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Kurt Kister, widmet sich in der Rubrik „Phrasenmäher“ wieder einmal den ominösen Anglizismen. Dass die Anglizismen sich immer stärker in der deutschen Sprache umtrieben, sei nicht mehr aufzuhalten, so der Journalist. „Manche Kämpfe sind seit Langem verloren“, was aber vor weiteren Enttäuschungen nur bedingt schütze. Es sei eben nicht die Sprache der Literatur, die aus dem angloamerikanischen Raum importiert werde. Walt Whitman oder Amanda Gorman suche man bei diesen Sprachexporten vergeblich. Die Hauptbegriffe stammten auch aufgrund der Digitalisierung aus der „Computerei“. Wohlklang könne man von diesem Fachjargon nicht erwarten. Die „höchste poetische Form“ sei das „Manual, also die Gebrauchsanleitung“, so Kister. Jüngstes Beispiel dieser Sprachverarmung sei die unkritische Übernahme des Wortes „rollout“. Der Begriff stamme aus der Industrie, er werde verwendet zur Vorstellung eines neuen Produktes. Dafür wird es aus der Produktionshalle herausgerollt. Mittlerweile bezeichnet der Begriff die „Fertigstellung, Vorstellung, Veröffentlichung aller möglichen Programme und deren Verwandter.“ In einem Anflug des „Unterschergen des amerikanischen Digitalimperialismus“ wurde der rollout nun wortwörtlich ins Deutsche übertragen. Man könne nun in verschiedenen Zeitungen davon lesen, dass „das Ausrollen der Funktion einer App (…) sich hinziehen“ werde. Dieser Begriff „jedenfalls macht sich als Krückensynonym für das Einführen von Dingen, nicht mehr nur von Software, so breit wie ein bremsgeschädigter Lkw in der Notfallspur“, urteilt Kister. (sueddeutsche.de)
Viele Briefe
Liebe Leser, selbstverständlich lesen wir Ihre Post, wir nehmen uns Ihre Beiträge zu Herzen, soweit es geht. Der Infobrief muss dennoch weiterhin ohne Veröffentlichung von Leserpost auskommen. — Ihre Redaktion
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Dorota Wilke, Alina Letzel, Frank Reimer, Oliver Baer