Infobrief vom 23. Dezember 2022: Stanfords verletzende Sprache

1. Presseschau

Stanfords verletzende Sprache

Das Sprachgendern war noch harmlos. Jetzt ist in den USA die Elite-Universität Stanford unter Beschuss für einen Sprachleitfaden, der vermeintlich verletzende Sprache aufzeigt und wie man sich stattdessen . auszudrücken habe. So soll ein survivor (im Sinne von survivor of abuse, also ein Missbrauchsopfer) jetzt eine person who has experienced / has been inpacted by werden, also jemand, der Missbrauch erfahren hat. Laut Leitfaden sollen Opfer nicht über ihr Opfer-Sein definiert werden. Die peanut gallery, im Theater die billigen Plätze, sollen zu audience werden; der alte Begriff sei eine Reminiszenz an frühere Zeiten, als schwarze Amerikaner nur auf den billigen und schlechtesten Rängen im Theater sitzen durften. Committed suicide (hat Selbstmord begangen) solle durch died by suicide ersetzt werden, denn das Selbstmord-Begehen trivialisiere psychische Probleme. Besonders viel Ärger rief allerdings der Begriff American hervor. Besser sei US Citizen, denn American müsse für alle nord- und südamerikanischen Länder greifen, sonst suggeriere die Herausstellung der USA eine Vormachtsstellung. Jedoch besitze nicht jeder Immigrant, der Amerikaner ist, auch die US-Staatsbürgerschaft. Immigrant sei im Übrigen auch schlecht, so der Leitfaden, da dieses Wort nur einen Teil der verschiedenen Charakteristiken einer Person aufgreife, besser sei person who has immigrated. Die Universitätsleitung sah sich nach der Kritik am Leitfaden zu einer Stellungnahme genötigt. Man verbiete das Wort „American“ nicht, man wolle nur sensibilisieren; außerdem sei Sprache immer ein fließender Prozess, der ständig beobachtet würde. (wsj.net (PDF-Datei), reason.com, nbcbayarea.com, itcommunity.stanford.edu, faz.net (Bezahlschranke))


Walter Krämer im Interview

Zu schön zum Verhunzen. In einem ausführlichen Gespräch mit dem christlichen Online-Portal corrigenda.online sprach der VDS-Vorsitzende Prof. Walter Krämer über Besonderes in der deutschen Sprache, auch über aktuelle Probleme mit dem Gendern. Es sei ein Angriff auf das Skelett, die innere Struktur der Sprache. Bei konsequent durchgegenderten Texten seien gewisse Konstruktionen nicht mehr verständlich oder verlören ihre Sinnhaftigkeit. Gender-Verfechter ignorieren, dass viele Dinge unmarkiert sind, also keinen Hinweis auf ein Geschlecht beinhalten, selbst wenn sie in einer nach außen hin gekennzeichneten maskulinen Form auftauchen: „Ein Beispiel: Die Polizei sagt, es werden Zeugen gesucht. Hier ist vollkommen klar, dass die Personen, die gesucht werden, jedweden Geschlechtes sein können. Nur wenn man eindeutig ein bestimmtes Geschlecht meint, dann muss man das konkret benennen.“ Auch mit der Dudenredaktion geht Krämer hart ins Gericht: „Die Dudenredaktion hat ihren Auftrag verraten. Sie bildet die Sprache nicht mehr ab, wie sie ist, sondern wie sie in den Augen der Duden-Ideologen sein sollte.“ (corrigenda.online)


Das längste deutsche Wort 2022

Das längste deutsche Wort hat es 2022 wieder in das Guinessbuch der Weltrekorde geschafft. Mit 80 Buchstaben ist die „Donaudampfschifffahrtselektrizitätenhauptbetriebswerkbauunternehmenbeamtengesellschaft“ das längste Wort in diesem Jahr. Das dritte f in Schifffahrt besorgt dem Wort den 80. Buchstaben. Allerdings lässt sich das Wort nicht im Rechtschreibduden finden. Das längste Wort im Duden besteht aus 44 Buchstaben: „Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung“, gefolgt von „Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung“ mit 36 Buchstaben. Der Berliner Sprachforscher Professor Anatol Stefanowitsch erklärt, dass die deutsche Besonderheit der „Bandwurmwörter“ aus der „deutschen Liebe zu komplexen Verordnungen und Gesetzen“ entstehe. Im Jahre 2013 wurde das berüchtigte „Rindfleischetikettierungs-überwachungsaufgabenübertragungsgesetz“ (abgekürzt RkReÜAÜG) als längstes deutsches Wort bekannt. Zwar stammen laut Stefanowitsch die meisten langen Wörter aus Gesetzestexten, allerdings seien bestimmte chemische Fachbegriffe in ihrer Länge ebenfalls „rekordverdächtig“. (wiwo.de)


Liedtexte in allen EU-Sprachen

Mehrere Unternehmen aus der Musikindustrie arbeiten an einem System, das Liedtexte in alle EU-Sprachen übersetzt. Das Projekt „Boosting European Lyrics and their Entrepreneurial Monetization“ (BELEM) wird mit 2 Millionen Euro von der EU gefördert. Die 15 beteiligten Unternehmen, zu denen auch der Musikstreaming-Dienst Deezer zählt, wollen durch die Bereitstellung der Liedtexte in verschiedenen Sprachen kulturelle Hürden überwinden. Auch die Songschreiber, Musiklabels und Plattformen sollen von dem neuen System profitieren, da sich die Texte eher monetarisieren ließen und es würde ein breiteres Netzwerk entstehen. Die Botschaft und Weiterverbreitung der Texte trage zum Erfolg der Künstler bei, weshalb sie zum Übersetzen ihrer eigenen Texte angeregt werden sollen. (computerbase.de)


2. Gendersprache

Kein ausgewogenes Bild

Man quält sich auch anderswo, Debatten zur Verwendung von Gendersprache gibt es nicht nur in Deutschland. Auch in Frankreich werden verschiedene Formen der vermeintlich inklusiven Schreibweise verwendet. Neben der Doppelnennung der männlichen und weiblichen Form („musiciens et musiciennes“) zählt die Verwendung von Pünktchen („musicien.ne.s“) zu den gängigen Formen des französischen Genderns. Im Journal of Language and Social Psychology berichtet eine Gruppe Forscher um die Sozialpsychologin Hualin Xiao jedoch über den überschaubaren Erfolg der französischen Gendervariante. Der Anspruch, den männlichen Bias des generischen Maskulinums zu überwinden – die Vorstellung, dass das generische Maskulinum nur Bilder von Männern in den Köpfen der Menschen herbeirufe -, werde durch die Gendersprache jedoch nur im geringen Maße erfüllt. Die 450 Versuchspersonen bekamen einen Text zu lesen, in dem unterschiedliche Berufsbezeichnungen von weitestgehend geschlechtsneutralen Berufen, vorgestellt wurden. Neben dem generischen Maskulinum wurde die Doppelnennung und die Pünktchenvariante verwendet. Die anschließende Einschätzung der Teilnehmer ergab, dass bei Verwendung des generischen Maskulinums nur knapp 11% mehr Männer in den Berufen vermutet wurden. Dieser Effekt trat nicht bei der Verwendung der Genderformen ein. Zwar sei der Unterschied grundsätzlich gering, jedoch betonen die Forscher, dass „gendergerechte“ Sprache den Anteil der Frauen in der mentalen Repräsentation, vor allem in männlich dominierten Berufen, erhöhe. Die Wirkung der Gendersprache sei aber insgesamt nicht zufriedenstellend. (spektrum.de)


3. Sprachspiele: Unser Deutsch

Ampel

Bei diesem Wort denkt man dieses Jahr zuerst an die neue Regierungskoalition: rot-grün-gelb, die Symbolfarben der drei Koalitionsparteien entsprechen den Farben auf der Verkehrsampel. Ein metaphorischer Vergleich. Ein Weiterdenken ist hier nicht beabsichtigt. Sonst stünde ja die SPD für Halt, die Grünen für Los geht’s und die Gelben für beides: jetzt auf die Bremse treten oder jetzt Gas geben. Verwunderlich, dass solche oder ähnliche Interpretationen noch nicht angestellt wurden.

Aber woher kommt eigentlich der Name Ampel für die Einrichtung zur Verkehrsregelung? Das Wort ist bereits althochdeutsch als ampla belegt, entlehnt aus lateinisch ampulla ‚kleines zweihenkliges Gefäß (für Öl oder andere Flüssigkeiten)‘, ursprünglich ein Diminutiv (*amphorola) zu amphoreus, einer Entlehnung aus dem Griechischen. In den Kirchen des Mittelalters stand die von der Decke hängende Öllampe für das Ewige Licht. Aus diesem Bild leiteten sich später zwei neue Verwendungen ab: die Blumenampel und die Verkehrsampel, die ursprünglich über der Kreuzung hing. Der Name blieb auch bei anderer Anbringung.

Genug der Sprachgeschichte. Ich möchte abschließend auf etwas ganz anderes hinaus und wage eine These: Wir Deutschen sind in unserem gesamten Verhalten eine Art Ampel-Volk, eines, das immer genau wissen will, wann Halt geboten ist, wann losfahren, wann weiterfahren. Unsere Bürokratie, unser gesamtes Gesetzes- und Verordnungswesen folgt dem Motto: immer vorschreiben, immer ansagen, was geboten oder verboten ist. Die Bürger werden fürsorglich an die Hand genommen und bestraft, wenn sie den Geboten nicht folgen. Diese Ampel-Mentalität prägt unsere Gesetze und unseren Alltag. Unser Leben ist wie eine Autofahrt durch eine Innenstadt, ein Stopp and Go von Ampel zu Ampel.

Gibt es Alternativen zu diesem System? Ich sage Ja und meine den Kreisverkehr. In manchen Ländern, z.B. in Skandinavien, England, Irland, auch in den ehemaligen englischen Kolonien ist der Kreisverkehr die Regel, wo bei uns Ampeln stehen. Erst in den 90er Jahren wurden sie hier und da auch bei uns eingerichtet. Das System spart nicht nur Zeit und Sprit, meistens hält es auch den Verkehr flüssig. Aber es verlangt die aktive Mitwirkung der Verkehrsteilnehmer. Ist der Kreis frei zum Reinfahren, zum Einordnen? Man muss abwägen und entscheiden. Vorsicht ist ebenso geboten wie etwas Mut. Mit dem System Kreisverkehr wird allen Verkehrsteilnehmern mehr Verantwortung gegeben und abverlangt.

Die Urform dieser Verkehrsregel sind übrigens Denkmäler, um die der Verkehr herumgeführt wurde. Das klassische Beispiel ist der gewaltige Kreis um den Arc de Triomph in Paris.

Mehr Kreisverkehr im Alltag, mehr Eigenverantwortung, weniger Ampel-Bürokratie – dies ist mein Wunsch für das Neue Jahr.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


4. Kultur

Konfession an der Sprache erkennen

Katholisch oder evangelisch? Laut der Sprachexpertin Dr. Anna-Maria Balbach von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster könne man an der Sprache erkennen, welcher der beiden christlichen Konfessionen jemand angehört. Dafür hat sie rund 3.000 Radiopredigten aus fast zehn Jahren ausgewertet. Dabei hat sie festgestellt, dass allein schon bei der Themenauswahl Unterschiede die Predigten prägen: Während Katholiken häufig aktuelle gesellschaftliche Themen aufgreifen und die eigene katholische Kirche kritisch hinterfragen, widmen sich Protestanten eher typisch religiösen Themen rund um die Bibel und deren Auslegung. Katholiken nutzen häufiger die Formulierung „meine Kirche“, während Protestanten eher von „der Kirche“ sprechen – hier würde laut Balbach ein deutlicher Unterschied in Sachen Identifikation und Nähe zu bemerken sein. Protestanten nutzen außerdem häufiger Bibelzitate. Generell zeige sich bei Katholiken ein stärkerer persönlicher Bezug zur Kirche, Gott und Jesus seien nahbarer, während bei Protestanten Gott ein Handelnder in biblischen Geschichten sei, „der nicht so eng mit der eigenen Erfahrung oder Meinung verknüpft ist.“ (katholisch.de)


Die fiktive Sprache der Na’vi

Die Blauen reden anders. Vor 13 Jahren setzte der Regisseur James Cameron mit „Avatar“ neue Maßstäbe in Sachen 3D-Filmtechnologie – jetzt entführt er die Kinofans wieder nach Pandora. In „Avatar: Der Weg des Wassers“ müssen die Na’vi, die blauhäutigen Einheimischen des Mondes Pandora, sich erneut gegen Eindringlinge erwehren. Die Geschichte wird jedoch nicht nur in den uns bekannten Sprachen weitergesponnen, sondern auch in der gleichnamigen Sprache der Na’vi. Der Linguist Paul Frommer von der University of Southern University in Los Angeles hatte sich damals bei Cameron beworben, um die Sprache zu entwickeln – und bekam die Stelle. „Die Sprache musste zur Umwelt und zur Kultur der Bewohner passen“, so Frommer. Die Na’vi haben z. B. vier Finger an jeder Hand, daher durfte ihre Zählweise nicht auf Zehner-Schritten aufbauen, also hat Frommer ein oktales Zahlensystem erschaffen. Dazu entstand ein ganzes Universum an Vokabular, so der Deutschlandfunk. (deutschlandfunkkultur.de)


Mehr Deutsch und Mathematik

Das Deutsch der Schüler reicht hinten und vorne nicht. Das muss sich erneut bis in die Kultusministerkonferenz (KMK) herumgesprochen haben. Jedenfalls empfiehlt die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der KMK, die Schulen sollten sich auf Schlüsselkompetenzen konzentrieren. Das berichtete bereits am 8. Dezember Heike Schmoll in der FAZ: „Für Erhöhung der Qualität in der Grundschule seien pro Woche sechs Stunden Deutsch und fünf Stunden Mathematik notwendig.“ Bildungskoordinator Alexander Lorz von der CDU soll die Stärkung der Bildungssprache Deutsch sogar „einen zentralen Baustein“ genannt haben. Früher hatten wir die zentralen Eckpfeiler, jetzt die zentralen Bausteine. Apropos Schlüsselkompetenz: Man braucht Deutsch für alle anderen Fächer (nur für den Fall, das könnte jemand vergessen haben). In Niedersachsen sollen nun „Grundschülerinnen und Grundschüler (…) mehr Unterricht in Deutsch und Mathe bekommen“, berichtet die Hannoversche Allgemeine. Die Grundschüler Niedersachsens hinken nämlich den Kollegen in den anderen Bundesländern hinterher. (faz.net, haz.de (Bezahlschranke))


5. Berichte

VDS-Bergisch-Land im Radio

Die Regionalgruppe Bergisch-Land (also Wuppertal, Remscheid, Solingen) gibt es seit einigen Jahren auch im Radio zu hören. Eine Projektgruppe produziert regelmäßig Beiträge für den Bürgerfunk, die mittlerweile auch über die Mediathek des Lernsenders NRWision gehört werden können. Im nun zugänglichen neuesten Beitrag geht es um englische Wörter im Deutschen und der Bibliothekar Mathis Holzbach spricht über die Vor- und Nachteile der Gendersprache. (nrwision.de)


6. Denglisch

Weihnacht’s Cocktail

„Wo soll das nun noch hinführen?“, fragt Redakteur Steffen Mack im Mannheimer Morgen nach einem Besuch auf dem Heidelberger Weihnachtsmarkt. Dort wird ein „Weihnacht’s Cocktail“ angeboten (mit und ohne Alkohol), ein Foto ist als Beleg abgedruckt. Leider erlaube ja die Duden-Redaktion den „Deppen-Apostroph“ zur Deutlichmachung eines Namensbestandteils. Demnach müsse Weihnacht ein Eigenname sein. Für Redakteur Mack ein klarer Einfluss der englischen Sprache: „Eine derartige Sprachpanscherei darf niemand unterstützen“, so Mack.


7. Kommentar

Für die Verständigung

Auf die Gefahr, den weihnachtlichen Frieden zu trüben: Selbsternannte Sprachschützer wie der VDS weisen seit Vereinsgründung darauf hin, dass es ganz brauchbar sein kann, wenn die Bürger dieses Landes – einschließlich der Einwanderer ­– die Landessprache beherrschen. Sie ist die Grundlage für alles Handeln, etwa in den Pflegeheimen (um von zahlreichen Notständen nur einen zu nennen). Was ungezählte Mitmenschen aus anderen Herkunftsländern in den Heimen leisten, kann in einem nüchternen Satz auch nicht annähernd gewürdigt werden. Dass man ihnen nicht als erstes Deutschkenntnisse beibringt, die eine fehlerarme Verständigung zwischen den Alten und den Pflegern ermöglichen, das grenzt schon an Menschenverachtung, und zwar in beide Richtungen: gegenüber den mehr oder weniger dementen Alten wie den oft hilflosen Pflegern – die aber immerhin mit viel Herz kompensieren, was ihnen an Kenntnis vorenthalten bleibt. Vielleicht hülfe es, wenn die Landessprache als solche in der Verfassung festgeschrieben wäre: Damit sie endlich ernst genommen werde! Alternativ käme selbstverständlich infrage, dass die Alten die Sprachen ihrer Pfleger erwerben, zum Beispiel Arabisch, oder zumindest die Sprachen der früheren Kolonialherren. Bei dem tüchtigen jungen Küchenhelfer aus dem Sénégal wäre das Französisch, bei der brasilianischen Pflegehilfe auf der dritten Etage Portugiesisch. Na denn frohe Weihnachten! (Oliver Baer)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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