Infobrief Nr. 449 (4. Ausgabe in diesem Jahr)

1. Presseschau

Geschlechtergerechte Sprache in Hannover

Bild: pixabay / 3dman_euPixabay-Lizenz

Die Stadt Hannover hat ihren Behörden die Benutzung der geschlechtergerechten Sprache verordnet. Demnach sollen alle Broschüren, Faltblätter, Rechtstexte, Hausmitteilungen und Briefe nur mit „geschlechtsumfassenden Formulierungen“ bestritten werden. So wird aus dem Wählerverzeichnis das Wählendenverzeichnis. Sprachlich ist das ein reiner Unfug, denn ein Verzeichnis der Wählenden kann nur entstehen, „wenn besagte Personen in einer Wahlkabine zu Gange sind. Wähler ist man hingegen auch, wenn man zu Hause sitzt und Netflix schaut“, sagt die Neue Zürcher Zeitung, und Florian Harms auf T-Online bemerkt: „Es hat ja einen Grund, dass die Rednerliste Rednerliste und nicht Redeliste heißt. Weil darauf halt steht, wer etwas sagen will und nicht, was gesagt werden soll.“

Bereits seit 2003 werde in Hannover das sogenannte Binnen-I verwendet (BürgerInnen), verlautet Oberbürgermeister Stefan Schostok. Dieses hebe jedoch lediglich Frauen hervor. Die neue Regelung sei notwendig geworden, seit auch die Geschlechtsangabe divers im Personenstandsregister möglich ist. Falls jedoch geschlechtsumfassende Formulierungen (Lehrende/Lehrkräfte statt Lehrerinnen und Lehrer) nicht möglich seien, solle deshalb die Sternchenschreibweise genutzt werden (Dezernent*innen). Das Sternchen solle dabei „als Darstellungsmittel aller sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten dienen“. Beim Aussprechen des Wortes solle ein kurzes Innehalten die Anwesenheit des Sternchens verdeutlichen, wie beim ver-eisten Gewässer. „Vielfalt ist unsere Stärke – diesen Grundgedanken des städtischen Leitbilds auch in unsere Verwaltungssprache zu implementieren, ist ein wichtiges Signal und ein weiterer Schritt, alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht anzusprechen.“ sagt Oberbürger*innenmeister*in Schostok. Umsetzen müssen die Anweisungen nun die rund 11.000 Mitarbeitenden, lesen und verstehen sollen sie alle Einwohnenden Hannovers. (hannover.de, t-online.de, spiegel.de)

Kommentar

Mit dem geschriebenen und gesprochenen Wort gelingt Verständigung nicht immer. Oft entspricht das Gemeinte nicht dem Gesagten. Diesem Zustand geht die Stadt Hannover nun an den Kragen, und wenn dabei die Sprache zum gezierten Gemümmel gerät, das keiner mehr wahrnehmen mag. Hauptsache es wird klar: Wir sind alle gleich, jawohl, und einige sind gleicher, das sind die im Besitz der Weisheit: Eine bis ins kleinste geregelte Sprache wird die Ungerechtigkeiten zwischen sämtlichen Geschlechtern ausrotten. So wie die Manipulation der Sprache immer funktioniert: nicht zum Nutzen der Betroffenen, und sie wird immer abstrakter, immer kälter. Aber zu früh freuen sich die meinungstragendenGendernden (oder besser: die gendernden Meinungstragenden?) über diesen genialen Schachzug der Hannoveraner, mit dem sie ihre Verwaltungskompetenz auf eine höhere Ebene befördern. Genial ist die Regelung nämlich, und zwar auf eine verquere Weise, denn nun fällt bald dem letzten Mitbürgenden auf, was von der Genderei zu halten ist, und den Beweis führt Oberbürgendenmeister*in Schostok. Das muss Absicht sein, der ist doch bisher nicht durch Dummheit auffällig geworden.

Sprachwahrerwahl

Die Deutsche Sprachwelt des Vereins für Sprachpflege e. V. sucht den Sprachwahrer des Jahres 2018. Die Abstimmung läuft bis zum 31. Januar 2019. Auf der Kandidatenliste finden sich die Germanistin Marlena Fischer, das Österreichische Bundesministerium für Landesverteidigung, Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, sowie das Deutsche Orthodoxe Dreifaltigkeitskloster Buchhagen. Weitere Kandidaten können vorgeschlagen werden. Ausgezeichnet wurden seit 2000 unter anderen Sarah Connor, Otfried Preußler, Loriot, Norbert Lammert und Frank Plasberg. (deutsche-sprachwelt.de, adz.ro)

Soziale Medien gefährden Sprache

In den sozialen Medien herrschen eigene Sprachformen. Satzzeichen verlieren an Bedeutung, Laute werden weggelassen, Wörter abgekürzt. Den meisten Netzbürgern fällt es leicht, bei formalen Texten umzuschalten und sprachlich korrekt zu schreiben, aber lassen sich die verschiedenen Arten des Sprachgebrauchs wirklich so klar trennen? Der kurdische Schriftsteller und Dichter Ihsan Birgül kritisiert den Einfluss der sozialen Medien auf die Sprache. Ganz bewusst verwende er nur wenige Worte, denn lange Texte würden nicht mehr gelesen. Die Ursache für diese Entwicklung liege in den sozialen Medien. Birgül fürchtet, dass Sprache durch diese gefährliche Tendenz der Verkürzung auf Dauer geschädigt werde. (deutschlandfunk.de)

Tagung zum Thema Plattdeutsch

Die Arbeitsgemeinschaft Südniedersächsische Heimatforschung organisiert am 16. Februar 2019 das „Frühjahrstreffen der Fachgruppe Plattdeutsche Sprache und Literatur“ in Gieboldehausen bei Göttingen. Unter anderem soll es eine plattdeutsche Andacht, gemeinsames Singen und Essen, eine Stadtführung und plattdeutsche Büttenreden geben. Interessierte können sich bis zum 8. Februar beim Veranstalter melden. Weitere Informationen unter: goettinger-tageblatt.de

2. Unser Deutsch

Grundgesetz

Warum, so hat gewiss schon mancher gefragt, hat unsere Verfassung den Namen Grundgesetz? Beim ersten Nachdenken dachte ich, es sei eine geniale Neuprägung, die den gebeutelten Deutschen den Wert und Rang ihrer neuen Verfassung (1949) auch im Wort selbst deutlich machen wollte. Grundgesetz – das versteht man sofort als ‚grundlegendes Gesetz‘. Und das ist es ja auch: „die Gesamtheit der Grundsätze, welche (einerseits) die Form eines Staates und (andererseits) die Rechte und Pflichten seiner Bürger festlegt“. Im Wort Grundrechte taucht dieser Aspekt wieder auf.

Demgegenüber ist das Wort Verfassung nicht sehr sprechend, es erklärt sich nur mühsam aus dem Verb verfassen, aus dem es abgeleitet ist. Wir kennen die seelische Verfassung, auch den Verfasser eines Buches, ein Diamant kann in Gold gefasst sein und manche kennen die verfasste Studentenschaft. ‚Zusammenfassen‘ ist in etwa der gemeinsame semantische Nenner. Im heutigen Sinne geläufig wird Verfassung erst durch die Verfassung des Deutschen Reiches (1871) und die Weimarer Verfassung (1919).

Warum nun griffen die Mitglieder des Parlamentarischen Rates nicht auf den bewährten Begriff zurück, behielten ihn aber bei in den Zusammensetzungen Verfassungsgericht und Verfassungsschutz? Der Grund liegt in den besonderen Bedingungen, unter denen unsere Verfassung vorbereitet und eingeführt wurde.

Als die Deutschen der drei westlichen Besatzungszonen sich unter der Anleitung der Westmächte politisch neu konstituieren durften, war das Wort Verfassung tabu, es sollte dem gesamten Deutschland, dem Nachfolger des Deutschen Reiches, vorbehalten bleiben. Doch da die SBZ, die Sowjetische Besatzungszone, sich nicht beteiligen durfte, suchte und fand der Parlamentarische Rat ein vorläufiges neues Wort für die Verfassung der jungen Bundesrepublik Deutschland. Erst durch die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990, den Beitritt der Ost-Länder, ist das Wort Grundgesetz zum endgültigen Namen für die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geworden. Dabei konnte an eine lange Tradition der Verfassungsgeschichte angeknüpft werden. Schon im 17. Jahrhundert wurde der Rechtsbegriff leges fundamentales ins Deutsche übersetzt.

Einen anderen Weg gingen die Revolutionen in Nordamerika und Frankreich: sie knüpften mit dem Terminus constitution an den römischen Rechtsbegriff constitutio an. Immerhin sind wir uns in der Sache einig: Verfassung, Grundgesetz oder Constitution – sie ähneln sich in den Grundsätzen, sie machen das Gemeinsame der westlichen Welt aus.

Horst Haider Munske

Nachtrag: Ein aufmerksamer, fachkundiger Leser macht darauf aufmerksam, dass der Begriff ‚Verfassung‘ zuerst 1806 (Einleitung Rheinbund) belegt ist und auch ‚Grundgesetz‘ schon 1690 in Art. 35 Wahlkapitulation Joseph I. benutzt wurde. Danke!

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

3. Berichte

Vortrag zur Gendersprache

Der Regionalverband Ostthüringen lud am 16. Januar 2019 zum Thema Gendersprache ein. Knapp 25 Interessenten erschienen, um den Vortrag des Vorstandsmitglieds Jörg Bönisch zu hören. Gegenstand war die Entstehung und Entwicklung von Gendersprache und was daran auszusetzen ist. Weitere Informationen unter: gera.otz.de

4. VDS-Termine

29. Januar, Region 01 (Dresden, Riesa)
Mitgliedertreffen mit Buchvorstellung „Youssefs Gesetz“ von und mit Dr. Kurt Gawlitta
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Ortsamt Dresden-Loschwitz, Grundstraße 3, 01326 Dresden

7. Februar, Region 28 (Bremen)
Treffen der Sprachfreunde Bremen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Luv, Schlachte 15, 28195 Bremen

8. Februar, Region 53 (Bonn, Vor-Eifel und Siebengebirge)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Tennis-Club Heiderhof, Sommerbergweg 4, 53177 Bonn

11. Februar, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:15 Uhr
Ort: Gaststätte „Kaiser-Treff“, Hahnerberger Straße 260, 42329 Wuppertal

13. Februar, Region 52 (Aachen)
Mitgliedertreffen mit Wahl der Regionalleitung
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Ev. Familienbildungsstätte Martin-Luther-Haus, Martin-Luther-Straße 16, 52062 Aachen

5. Literatur

Schweizer Literaturpreis

Den mit 40.000 Franken dotierten Schweizer Grand Prix Literatur 2019 erhält die Schriftstellerin und Übersetzerin Zsuzsanna Gahse für ihr „originelles Werk zwischen Poesie und Prosa“. Ihren Erstlingsroman „Zero“ veröffentlichte die ungarische Muttersprachlerin 1983 in deutscher Sprache. Sie übersetzte zahlreiche Werke vom Ungarischen ins Deutsche. Gahse ist Mitglied des PEN-Zentrums in Deutschland, sie war Lehrbeauftragte an der Universität Tübingen und hatte 1996 eine Poetik-Dozentur an der Universität Bamberg. Die Jury des Grand Prix Literatur überzeugte sie mit ihrem Interesse an Sprache und Wörtern, der genauen Beobachtung gesellschaftlicher Phänomene, mit Sprachklang, Tempowechseln, Witz und Ironie. Das Schweizer Bundesamt für Kultur vergibt den Grand Prix Literatur jedes Jahr für das Gesamtwerk eines Autors. (zsuzsannagahse.ch)

Belgische Schüler lesen auf Deutsch

Beim jährlichen Vorlesewettbewerb des Deutschen Buchhandels machen nicht nur deutsche, sondern auch belgische Schüler mit. Teilnehmer aus sechs deutschsprachigen Schulen in Belgien trafen sich am 17. Januar 2019 in Brüssel, um den besten Vorleser in deutscher Sprache zu ermitteln. Die Sechstklässlerin Lisa Heinen von der Pater-Damian-Grundschule (PDG) in Eupen schaffte es, sich gegen die anderen Schüler durchzusetzen, und qualifizierte sich für den Bezirksentscheid in Aachen. Jedes Jahr nehmen insgesamt rund 600.000 Kinder aus der sechsten Schulklasse an dem seit 1959 stattfindenden Vorlesewettbewerb teil. (grenzecho.net)

Humor hinter Gittern

Mit Humor und Witz werde alles leichter, heißt es. Oder zumindest ein Stück erträglicher. In der Justizvollzugsanstalt im osthessischen Hünfeld wurde in Zusammenarbeit der Häftlinge, des Personals und der Anstaltsleitung ein Witzebuch herausgebracht. Zwei der Gefängnisseelsorger stellten eine Sammlung aus Witzen, Cartoons, Zeichnungen und sonstigen erheiternden Beiträgen zusammen – mit dem Ziel, dass Humor das Zusammenleben offener gestalte und den Häftlingen helfe, ihre Situation besser zu ertragen. Eine nächste Ausgabe, in diesem Fall mit Gedichten und lyrischen Texten, ist bereits in Planung. (sueddeutsche.de)

6. Denglisch

Positive Nebeneffekte?

Der katholische Pater Karl Wallner erkennt eine positive Wirkung des Einzugs von Denglisch in die deutsche Sprache. Seit die Sprache von Anglizismen durchsetzt werde, gebe es einen freundlicheren Zugang zum Thema Mission, denn das Wort mission sei im angloamerikanischen Raum positiv besetzt und es werde häufig auch zur Beschreibung einer Sendung oder Lebensaufgabe benutzt. Auch der Papst, der selber aus einem Missionsland stamme, verwende das Wort Mission häufig und aufwertend. Wallner hat den Eindruck, dass Mission „gegenüber jüngeren Menschen überhaupt nicht mehr verteidigt werden muss“. Die mission, die jeder Mensch suche, überwinde die strikte Abgrenzung von „Pastoral hier in Europa“ und „Mission dort in den Missionsländern“. (die-tagespost.de)

7. Digitalisierung des Unterrichts

Die VDS-Arbeitsgruppe Deutsch in der Schule trifft sich auf der Didacta in Köln. Sie wird ihre nächsten Initiativen und Angebote beraten. Geplant ist eine Erhebung über die sprachlichen Leistungen von Schulabgängern. Sie soll die Erfahrungen mittelständischer Ausbildungsbetriebe dokumentieren. Daraus sollen Folgen für den Deutschunterricht in den Schulen abgeleitet werden. Einen weitergehenden Schwerpunkt der Arbeitsgruppe bildet die Digitalisierung des Unterrichts: Wie können die Pflege und Förderung der elementaren Sprachkompetenz noch gesichert werden? Interessenten zur Mitwirkung an dieser Arbeitsgruppe melden sich bitte bei Claus Günther Maas: claus.maas@vds-ev.de

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

Redaktion: Oliver Baer, Alina Letzel

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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