1. Presseschau
Studie vergleicht Sprachzentren von Affen und Menschen
Die Sprachstrukturen im menschlichen Gehirn könnten älter sein als bisher angenommen, stellt das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften fest. Bislang ging man davon aus, dass gemeinsame Vorfahren von Mensch und Menschenaffe vor etwa fünf Millionen Jahren sprechen konnten. Nun zeigen Untersuchungen, dass es schon 20 Millionen Jahre vorher möglich gewesen sein muss. Zu diesen Ergebnissen kamen Forscher durch Vergleich der Gehirne von Menschen, Menschenaffen und Affen. Untersucht wurden die Gehirnregionen, die einfache Laute und Sprache verarbeiten. Dabei wurde eine Nervenfaser-Verbindung bei Primaten gefunden, welche beim Menschen in sehr ähnlicher Form vorhanden ist. „Tatsächlich scheinen auch Menschenaffen und Affen eine gemeinsame Vorläuferstruktur des menschlichen Sprachnetzwerks zu haben“, erklärt Christopher Petkov von der Universität Newcastle in Großbritannien. (l-iz.de)
Sprachverfall vs. Lebendigkeit
„Nur tote Sprachen verändern sich nicht“, sagt Theo Stemmler in der FAZ. Dass die deutsche Sprache sich auch heute noch wandle, zeuge von ihrer Lebendigkeit. Stil, Satzbildung und Rechtschreibung würden sich stetig ändern, junge Menschen kämen mit diesen Änderungen meist schneller und besser zurecht als ältere. Offenbar stellen neue Begriffe, die früher aus dem Französischen, heute Englischen kommen, nicht einmal die größte Bedrohung der deutschen Sprache dar. Solche Einflüsse würde es immer geben, sie seien der Mode unterworfen. Befremdlich findet Stemmler jedoch die Fahrlässigkeit, mit der mittlerweile kommuniziert wird. Der Genitiv wird durch den Dativ ersetzt (man „gedenkt vielen Toten“), falsche Bezüge erschweren das Verständnis („Die Reise in der Transsib führt von Moskau nach Ulan Bator, die Hauptstadt der Mongolei.“). Dazu käme in der Politik ein immer härterer und bedrohlicherer Ton („Wir werden sie jagen“). Beleidigungen auf politischer Ebene seien zwar nichts Neues, eine Brutalisierung dieser Art sei jedoch neu. Stemmlers Vorschlag ist daher, „mehr auf politisch und grammatisch korrekte Sprache zu achten. Auf diese Weise könnte man Schaden von der deutschen Sprache abwenden.“ (faz.net)
Sprache in der Krise
Selten wurde so sehr mit Sprache auf die Pauke gehauen wie jetzt zur Corona-Krise. Vor allem Superlative, die bedrohlich wirken, haben Hochkonjunktur, so der Tagesspiegel. Von „Plage“, „Durchseuchung“ und „beherrschbar“ ist die Rede. Auch Kanzlerin Merkels „Öffnungsdiskussionsorgie“ prägte die Medien tagelang. Vor allem US-Präsident Trump gehe mit seiner Wortwahl den Weg der Angst, sagt Elisabeth Wehling, die seit Jahren Politik und Medien zur Wirkung der Sprache berät. Trump wähle bewusst Begriffe, die bei seiner konservativen und meist religiösen Wählerschaft ankommen, er spricht von Plage, von der Seuche und einem unsichtbaren Feind. Auch seine Bezeichnung chinesisches Virus, die er zunächst genutzt hatte, zeigt, wie sehr er ein abwehrendes Sprachbild transportiert. Das Verständnis für Zusammenarbeit und Empathie sei bei solchen Sprachbildern nicht vorhanden. Deutsche Politiker würden zumeist positive und hoffungsvolle Begriffe nutzen, zum Beispiel „vorsichtige Lockerungen“ und „zartes Pflänzchen“ (in Bezug auf die ersten Corona-Erfolge). (tagesspiegel.de)
Österreichische Fluglinie erfindet Kofferwort
Brangelina, Jein, Teuro, Merkozy – Kofferworte sind Worte, die aus zwei Begriffen zusammengesetzt sind und deren Bedeutung sich sofort erschließt. Das hat sich offenbar auch die österreichische Fluglinie Austrian Airlines gedacht und das Wort „Prachter“ erfunden. Sie nutzt es, wenn sie über ihre zwei umgebauten Boeing 777-200 spricht. Die Flugzeuge haben bisher regulär Passagiere befördert. Jetzt wurden die meisten Sitze ausgebaut und Platz für Fracht geschaffen. Passagier + Frachter = Prachter. Ob es, wie Brangelina, Jein und Co., in den alltäglichen Sprachgebrauch gerät, bleibt abzuwarten. (aerotelegraph.com)
2. Unser Deutsch
Globalesisch
So nennt der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant das ‚reduzierte Englisch‘, welches der weltweiten internationalen Verständigung dient. Es ist nicht mehr das Englisch von Jane Austen und Henry James, der britischen Times und der amerikanischen Washington Post, es ist eine Hilfssprache, die in Asien anders klingt als in Afrika, in Indien anders als in Europa. Gemeinsamkeiten sind ein Grundwortschatz und eine Grundgrammatik. Man kann über sie spotten und braucht sie dennoch. Die global vernetzte Wirtschaft kann sie nicht entbehren. Kritikwürdig ist nicht diese kommunikative Rolle, sondern die Infektion, mit der sie die Nationalsprachen dieser Erde durchdringt und ganze sprachliche Domänen übernimmt.
Der Begriff ‚Infektion‘ wird uns gerade durch die Korona-Pandemie in seiner schlimmsten Form vor Augen geführt. Er ist leider auch geeignet, die krankmachende, die tödliche Wirkung des Kontakts zwischen der simplifizierenden Einfachheit des Globalesisch und der reichen Vielfalt der Sprachen auf dieser Welt zu beschreiben. Wir sehen es am Neuwortschatz dieser Epidemie, an Homeschooling, an Lockdown, Hotspot, Exit, Bazooka, Covid-19 und Social distancing. Die Fachleute in den Talkshows, Journalisten und Politiker demonstrieren damit ihre kommunikative Herrschaft, ihr Besserwissen und ihre Heilrezepte.
Wir müssen uns fragen: Wie kommt es, dass diese Neuwörter so schnell in den Allgemeinwortschatz eindringen? Eine erste Antwort lautet: Wer etwas erfunden oder als erster beschrieben und benannt hat, der ist den anderen voraus. Wir haben der Welt den Kindergarten beschert und den Diesel. Mit der Sache verbreitet sich auch das Wort und dies weltweit. Es genügt jedoch nicht, die neue Sache zu erwerben oder nachzumachen, der lmport muss auch sprachlich integriert werden. Manchmal gelingt es, wie bei der Klimaanlage (aus air condition) oder der Maus am PC (aus der mouse), hier müssen sich die Muttersprachler vieler Sprachen bemühen. Nicht immer ist die simple Lehnübersetzung der beste Ersatz. Nehmen wir Homeschooling als Beispiel. Es bieten sich Übersetzungen mit dem ähnlichen Heim- an. Doch hat unser Heim einen leicht anheimelnden Nebenton, der nicht zum Lernen und nicht zum Büro passt. In beiden Fällen geht es aber um etwas ganz Neues, um digitale Kommunikation. Sie ist das wirklich Neue, nicht das Arbeiten zuhause, statt in Schule oder Büro. Deshalb wäre Digitale Schule oder Digitales Lernen für Homeschooling ein treffenderer Ersatz. Die richtige Bezeichnung wirft auch weitere Fragen auf. Müsste man dies Arbeitsmittel, diesen Schulbuchersatz nicht allen Schülern kostenlos bereitstellen? So wie die Firma den PC daheim bezahlt. Es geht bei Wörtern für Innovationen vor allem um eines: die Verständlichkeit. Fremdwörter sind hier unnötige Barrieren. Das zeigt auch eine jüngste Entlehnung, die Abkürzung FFP für Schutzmasken. FFP steht für Filtering Face Piece, was man den entlehnten Buchstaben nicht mehr ansieht. Sagen wir doch einfach Filtermasken, denn der kleine Plastikfilter ist die Besonderheit dieses Gesichtsschutzes.
Bei all diesen Innovationen geht es nicht nur um eine Sache, es geht ebenso um ihre Benennung, um das Gelingen von Kommunikation in unserer Sprachgemeinschaft. Dies zu erkennen ist eines, der entschiedene Wille es zu erreichen, das andere. Darum haben sich in der Vergangenheit der Barockdichter Philipp von Zesen, der Pädagoge Joachim Heinrich Campe und die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches erfolgreich bemüht. Damals ging es um das Ringen gegen das dominante Latein und Französisch. Heute ist Globalesisch, das sich mit dem Namen Englisch brüstet, der Widersacher. Sonst schliddern wir immer tiefer hinein in eine dürftige Adaption dieser Hilfssprache, können uns auf niedrigem Niveau mit vielen in der Welt verständigen, nur differenziert und kultiviert auf Deutsch miteinander zu reden und einander zu schreiben, das ist uns abhanden gekommen.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Kultur
Theater ohne Interaktion
Im Theater macht sich ein neuer Anglizismus breit: Ohne „Streaming“ funktioniert dort zurzeit gar nichts. Jegliche Vorstellungen sind abgesagt, alles findet digital statt. In Theaterkreisen führt das zu geteilten Meinungen. Einige beharren darauf, Theater sei seit jeher eine Kunst, bei der sich Künstler und Publikum gemeinsam Raum und Zeit teilen. „Erst wo Interaktion stattfindet, beginnt das Theater“, definiert es der deutsche Regisseur Kay Voges. Aufgezeichnete Aufführungen hätten rein dokumentarischen Charakter und dürften daher strenggenommen nicht als Theater bezeichnet werden. Von anderer Seite ließe sich dagegen jedoch einwenden, dass ja auch bei Video-Übertragungen durchaus Kommunikation stattfindet – die Zuschauer können beispielsweise durch Kommentare auf das Geschehen reagieren. Wie man Theater auch definieren mag, die digitalen Formate sind in Zeiten wie diesen wohl die einzige Möglichkeit und deshalb auch zu befürworten; so sieht es auch Voges. Theater in digitaler Form sei zwar machbar, stoße aber auch immer wieder an Grenzen. (derstandard.de)
Mehr Authentizität durch deutschsprachigen Gesang
Nach einer Teilnahme an der TV-Sendung „The Voice of Germany“ hat sie nun ihr erstes Album herausgebracht: Die österreichische Sängerin Mathea setzt auf gutgelaunte Poptöne und deutsche Texte. Das Album heißt schlicht und einfach „M“. In den Liedern erzählt sie offen und ehrlich Geschichten aus ihrem Privatleben, positive wie negative, und schreibt in einer bildhaften und lebendigen Sprache. Mathea hat sich dabei bewusst für ein Album in deutscher Sprache entschieden. „Ich empfinde es als authentischer“, sagt sie. Sie könne sich einfach besser ausdrücken und die Worte verwenden, die sie auch in der alltäglichen Sprache und im normalen Leben verwende. (nordbuzz.de)
4. Denglisch
Denglischflut beim Angeln
Wer angeln will, muss Englisch können, ansonsten wird es schwer. Nahezu alle Produktnamen stammen aus Amerika, deutsche Beschriftungen findet man auf Produkten fast nie. Der Kolumnist Martin Wehrle plädiert für mehr Deutsch am Angelwasser und gibt einige Beispiele von unnötig verwendeten Anglizismen. Ein „1 Man Dome Bivvy“ ist zum Beispiel ein Karpfenzelt, ein „Paddle and Curl Tail Combo Pack“ bezeichnet zwei Gummifische mit wackelnder Flosse. Auch eine Angelrute ist nur als „Carp Rod“ erhältlich, eine Angeltasche nur als „Stalking Bag“, und ein Hechtansitz ist bekannt als „Pike Session“. Wehrle ist überzeugt, dass deutsche Bezeichnungen besser ankämen: „Nichts berührt Menschen so tief wie ihre Muttersprache, in der sie ihr erstes Wort gebrabbelt, ihr erstes Buch gelesen und ihre erste Liebeserklärung gehaucht haben.“ In seinem Artikel listet er gleich ein ganzes Wörterbuch an Anglizismen auf: Für insgesamt 107 Begriffe bietet er eine deutsche Übersetzung. Wer angeln gehen möchte, sollte also vorher englische Vokabeln pauken. Da bekommt der Begriff „Anglistik“ schon gleich eine andere Bedeutung. (blinker.de)
IMPRESSUM
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke
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