Infobrief Nr. 469 (24. Ausgabe in diesem Jahr)

1. Presseschau

Sprachpolizei findet Mädchen

Bild: pixabay / RaphiD | Pixabay-Lizenz

Der Begriff Sprachpolizei gewinnt eine neue Bedeutung. Ist es eine Abteilung, die sich um die grammatische Korrektheit polizeilicher Meldungen kümmert? Schon möglich, denn in Ludwigsburg wird ein von der Polizei geteilter Facebook-Beitrag auf sprachliche Fehler überprüft. Über ein vermisstes Mädchen hieß es da: „Das Mädchen wurde gefunden. Es geht ihr gut.“ Ein Leser wies die Behörde darauf hin, dass es ihm statt ihr heißen müsse, da das Mädchen ein grammatisches Neutrum ist. Die Ludwigsburger Polizei hat nun eine Umfrage zu dem Sprachfall gestartet. Nur knapp über die Hälfte aller Teilnehmer hielt ihm für das richtige Personalpronomen. (swp.de)


Faire Verwaltungssprache in Hamburg

An der Hamburger Universität gibt es vorerst keinen Leitfaden für geschlechtergerechte Sprache. Eine entsprechende Forderung von Angelika Paschke-Kratzin, der Gleichstellungsbeauftragten der Universität, wurde abgelehnt; staatlichen Stellen sei es nicht gestattet, von Beschlüssen des Hamburger Senats abzuweichen. Die aktuelle Handreichung des Senats empfiehlt zwar neutrale Formulierungen in Form von Pluralbildungen, jedoch keine Gendersternchen, Unterstriche oder Partizip-Formen wie Studierende. An einem neuen Senatsbeschluss wird bereits gearbeitet: Derzeit wird geprüft, wie eine diskriminierungsfreie Verwaltungssprache aussehen könnte. (taz.de, jungefreiheit.de)

Kommentar

Wie zwingt man zwei Fragen, die miteinander kaum zu tun haben, unter einen Hut? Indem man festlegt: Ein Hut ist nur Hut, wenn darunter mehrere Köpfe passen. Querdenker suchen daher die Lösung der Aufgabe („Niemand darf wegen seines Geschlechtes […] benachteiligt oder bevorzugt werden“) eher nicht bei der Kopfbedeckung. In Altdorf ließ der Landvogt Gessler dereinst seinen Hut auf eine Stange stecken. Seinen Untertanen befahl er, diesen jedesmal zu grüßen, wenn sie die Stange passierten. Ein gewisser Wilhelm Tell weigerte sich, aus seinem Widerstand erwuchs die Befreiung von der habsburgischen Herrschaft und die Stiftung des eidgenössischen Bundes. Aus dem schließlich die Schweiz wurde. Die Sache mit dem Hut war wohl nichts.


Deutschsprachige Pfleger benachteiligt

Wer seine Aufnahme in die Südtiroler Kammer der Krankenpflegeberufe anstrebt, muss in einer Sprachprüfung ausreichende Italienischkenntnisse nachweisen. Tony Tschenett, Vorsitzender des Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbundes (ASGB) hält das für einen „Anschlag auf die deutsche Sprache und damit auf das Autonomiestatut“. Demzufolge ist das Deutsche dem Italienischen in Südtirol gleichgestellt und muss entsprechend behandelt werden. In einem Schreiben an die Kammer kritisiert Tschenett die offensichtliche Diskriminierung deutschsprachiger Bewerber. Sie solle lieber „die Voraussetzungen der Bewerber […] prüfen, um den Patienten eine bestmögliche Behandlung zu gewährleisten.“ (salto.bz)


Büssen sind Konserven

Möchten Sie Ihr Pfund Kartoffeln lieber auf Hochdeutsch oder auf Plattdeutsch? In einem Edeka-Supermarkt im ostfriesischen Großefehn können die Kunden wählen. Hochdeutsch wird auch gesprochen. Die Waren sind zweisprachig ausgewiesen – Büssen statt Büchsen, da weiß man doch! – , die Angestellten sprechen Platt, antworten aber auf Hochdeutsch, wenn so angesprochen. Für die Mitarbeiter gibt es Plattdeutschkurse und für die Kunden Vorleseabende. (youtube.com)


2. Unser Deutsch

Unechte Anglizismen

Bei näherer Betrachtung des englischen Lehnwortschatzes im Deutschen fallen Wörter auf, die englisch aussehen, aber in keinem englischen Wörterbuch zu finden sind. Es gibt sie nur im Deutschen. Wir nennen sie unechte Anglizismen. Das Englische steckt zum Beispiel bei der Zusammensetzung Frauenpower im Grundwort power. Wir erkennen es im Wort ausknocken an der Aussprache, bei Handy auch an der Schreibung.

Im folgenden gehen wir auf die drei Hauptgruppen solcher unechter Anglizismen ein: (1) die deutschen Partikelverben vom Typ einchecken, die auf ein englisches phrasal verb (hier to check in) zurückgehen, (2) die Weiterbildungen englischer Lehnwörter im Deutschen, das sind Zusammensetzungen wie Bordkarte, Ableitungen wie Clubberer (die Fans des FC Nürnberg, Club genannt) sowie Kurzwörter aus Entlehnungen wie Pulli (zu Pullover). Als letztes besprechen wir (3) die sogenannten Scheinentlehnungen, d. h. die eigenständigen Bildungen eines englischen Wortes im Deutschen. Alle drei Gruppen zeigen uns, dass die Verarbeitung von Entlehnungen ein produktives Verfahren ist, in dem sich oftmals Fremdes und Einheimisches mischen.

Die Gruppe (1) sind Verben mit einer deutschen Partikel und einem englischen Grundwort. Die häufigsten sind mit Partikeln wie ab-, an-, auf-, aus-, ein- gebildet wie abchecken (aus engl. to check up), abgefuckt (nach engl. fucked-up), antörnen (aus engl. turn on), aufpeppen (aus engl. to pep up), ausdünnen (aus engl. to thin out), einchecken (aus engl. to check in). Diesen Verbtyp mit nachgestellter Partikel gibt es im Deutschen nicht. Unser Pendant sind die Partikelverben, in denen die Partikel wie ein Präfix vorangestellt wird. Nach diesem Muster wurden alle entlehnten englischen Verben dieses Typs, die sogenannte phrasal verbs, im Deutschen zu Partikelverben umgeformt: Das Verb wird entlehnt, die Partikel übersetzt. Wir haben es hier also mit einer Mischung von Entlehnung und Lehnübersetzung zu tun. Manche nennen dies Lehnverbindung. Sprechender war die Prägung loanblends in der englischsprachigen Linguistik. Interessant ist, dass einige Verben dieser Art gar kein Vorbild im Englischen haben. So wurden durchstarten, durchstylen, abchecken und austricksen nach dem Muster anderer Entlehnungen im Deutschen gebildet.

Übrigens wurden die englischen phrasal verbs sehr häufig substantiviert und in dieser Form ins Deutsche entlehnt, beispielsweise Burnout, Layout, Makeup, Takeoff, Teachin aus engl. burn-out, lay-out, make-up, take-off, teach-in usw. Nur der Bindestrich ist meist verloren gegangen.

Die Gruppe (2) besteht aus unzähligen Zusammensetzungen mit einem deutschen und einem entlehnten Element wie Frauenpower, Powerfrau, aus Teilübersetzung wie computerunterstützt (nach engl. computer aided) oder eigenständigen Ableitungen wie Computerei, computern. Nicht selten werden Entlehnungen auch im Deutschen gekürzt, ohne Gegenstück im Englischen wie Profi (aus engl. professional), Deo (aus engl. deodorant) und Pulli (aus engl. pullover). Weiterbildungen von Lehnwörtern können ganze Wortfamilien erzeugen. Sie sind neben der Entlehnung selbst das häufigste Mittel der Wortschatzerweiterung im Sprachkontakt.

Als letztes sind die sogenannte Scheinentlehnungen zu nennen wie Afro-Look, Copy-Shop, Dressman, Handy, Longseller, Service-Point, Showmaster, gleichsam deutsches Englisch. Sie sind Zeugnis eines engen, intensiven Sprachkontakts.

Blicken wir kurz zurück: Anglizismen, das lernen wir, sind nicht nur Importe aus dem Englischen. Zu ihnen zählen auch die vielen Weiterverarbeitungen mit den Mitteln deutscher Wortbildung und die Mischungen aus entlehnten und lehnübersetzten Elementen. Solche hybriden Bildungen sind ein Charakteristikum sprachlicher Integration. Sprachkontakt schafft Mischsprachen. Das Deutsche ist dafür ein lehrreiches Beispiel.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Ankündigungen

Sprachpanscher an der Leine

Sie können den Sprachpanscher des Jahres auch onlein – sprich digital – wählen. Das kostet ein paar Klicks sowie kein Porto: vds-ev.de


Gender-Aufruf bleibt aktuell

Mittlerweile über 71.000 digitale Unterschriften gibt es zum Aufruf gegen Gender-Unfug. Hinzu kommen die auf Papier eingereichten Unterschriften aus Briefen, Postkarten und auf Unterschriftenlisten. Sie werden zu gegebener Zeit dazugezählt. Übrigens ist gesichert, jede Stimme wird nur einmal gezählt. (vds-ev.de)


4. Kultur

Werbung, die wirklich wirbt und nicht verwirrt

Die Werbung in Läden und im Fernsehen spricht immer häufiger Englisch. Die Regionalgruppe 56 des Vereins Deutsche Sprache sucht jetzt wieder Werbung, die wirklich wirbt und nicht verwirrt. Im jährlichen Wettbewerb Werbewerke wird sowohl gelobt als auch ermahnt. Zu Ehren kommen die Anwender einfallsreicher und witziger, verständlich formulierter deutscher Werbung. Für andere Unternehmen mit gedankenloser, missverständlicher oder von Anglizismen geprägter Werbung gibt es Sprachrüffel. Prämiert werden Produktwerbung, Eigenwerbung und der Name (die Firma) von Unternehmen. Fotos von möglichst aktueller Werbung sind der Jury vom 17. Juni bis 17. August willkommen. Für die besten Einsendungen beider Kategorien gibt es Preise bis zu 400 Euro, und sie werden öffentlich vorgestellt. Bitte schicken Sie Fotos in einem gängigen Bildformat oder als PDF sowie die Begründung mit dem Betreff „Werbewerke“ an borck@obere-meerbach.de.


Österreichische Tönungen im Burgtheater

„Die Sprache ist der Tod des Theaters“, erfuhr ein frisch eingeschriebener Student im Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig. Woraufhin er spontan beschloss, dieses Fach nicht weiter ernst zu nehmen. DIE PRESSE ruft nun in Erinnerung: „Die Sprache bleibt die Domäne des Theaters, alles andere ist Beiwerk“. (diepresse.com)

Ihren viel beachteten Beitrag schließt Barbara Petsch allerdings mit einem Irrtum: „Das Österreichische ist eine eigene Sprache, keine Mundart.“ Dieser häufig gehörte Satz klingt, wie wenn einer falsch singt. Wahrscheinlich hat Dr. Anton Karl Mally, vormals Oberrat an der Universitätsbibliothek Wien, die kürzeste Klärung der Begriffe gefunden: „Das österreichische Deutsch ist weder eine eigene Sprache noch eine Mundart, sondern eine Varietät der plurizentrischen und pluriarealen deutschen Sprache. Die Besonderheiten dieser Varietät sind teils gesamtstaatlich, teils regional (zum Beispiel wienerisch) und, was oft übersehen wird, bairisch (im größten Teil Österreichs) und alemannisch (in Vorarlberg und im Tiroler Außerfern) oder allgemein oberdeutsch (süddeutsch).“


5. Denglisch

No Food, No Rats

Weggeworfenes Essen befördert Plagen. Ein Rattenweibchen gebärt bis zu 40 Junge im Jahr; in manchen Städten kommen auf einen Einwohner fünf Ratten. Können sich die gefürchteten Nager frei bedienen, steht ihrer Ausbreitung nichts im Weg. In Gießen haben die Mittelhessischen Wasserbetriebe nun eine Informationskampagne unter dem Titel No Food, No Rats! gestartet. Es soll darauf geachtet werden, keine Essensreste im Abfluss oder im WC zu entsorgen und nichts auf der Straße oder in Parks zurückzulassen. Eine starke Aktion. Man könnte auch sagen: „Rats go away!“ Aber vielleicht ist ihr Englisch zu schwach. (giessener-anzeiger.de, mwb-giessen.de)


6. Schnipsel

Mancher Tippfehler ist keiner

Die Humboldt-Universität ist mit dem Bindestrich bekannt, das Humboldt Forum jedoch verzichtet darauf. Sind da Opfer der Rechtschreibreform am Werk? Eines hat diese vielfach bewirkt: Wer vor der Reform selten falsch schrieb, ist seither vor Fehlern selten gefeit.


Kein Krimi ohne Pop

Von Südtirol bis Rügen sollen Fernsehfilme und -serien am häufigsten mit Musik aus dem englischen Sprachraum untermalt sein, berichtet ein Leser. Täuscht sein Eindruck, oder gibt es dazu belastbare Zahlen?


7. VDS-Termine

15./16. Juni, Region 61, 63 (Bad Homburg, Offenbach, Hanau, Aschaffenburg)
Infostand am Mainuferfest
Zeit: 15. Juni, 16:00 Uhr – 16. Juni, 20:00 Uhr
Ort: Fest der Vereine am Mainufer, Hernstr. 59, 63065 Offenbach

17. Juni, Region 20, 22 (Hamburg)
Mitgliederversammlung
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis Alsterring, Pappelallee 61, 22089 Hamburg

21. Juni, Region 08 (Zwickau, Plauen)
Mitgliedertreffen mit Wahl der Regionalleitung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthof zur Eiche, Klingenthaler Str. 22, 08209 Auerbach

26. Juni, Region 03 (Cottbus)
Mitgliederversammlung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel „Zur Sonne“, Taubenstr. 7, 03046 Cottbus

27. Juni, Region 09 (Chemnitz)
Mitgliederversammlung und Vortrag von Heino Neuber
Bergbau und sein Einfluss auf die Sprachen
Zeit: 17:00 – 18:30 Uhr
Ort: Deutsches SPIELEmuseum e. V., Neefestr. 78A, 09119 Chemnitz

27. Juni – 29. Juni
Deutsche Sprachtage in Halle (Saale)
27. Juni: Bildungsreise
28. Juni: Tagung der Arbeitsgruppen sowie offizielle Eröffnung
29. Juni: Delegiertenversammlung

30. Juni, Region 48 (Münsterland)
Lyriknachmittag an der Ems
Zeit: 15:00 Uhr
Nähere Informationen: vds-ev.de

3. Juli, Österreich (Wien)
Zweiter Stammtisch des Jungen VDS in Wien (gemeinsam mit dem Verein „Muttersprache“)
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Café Ritter Ottakring, Ottakringer Str. 117, 1160 Wien, Österreich

8. Juli, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:15 Uhr
Ort: Gaststätte „Kaiser-Treff“, Hahnerberger Str. 260, 42329 Wuppertal-Cronenberg

10. Juli, Region 65 (Wiesbaden)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Europa, Stadthalle Kelkheim, Gagernring 1, 65779 Kelkheim (Taunus)

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Stets sind sämtliche biologischen Geschlechter mitgemeint. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln nicht immer die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Oliver Baer, Alina Letzel

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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