Infobrief vom 24. März 2024: VDS bei der Leipziger Buchmesse

1. Presseschau

VDS bei der Leipziger Buchmesse

Auch in diesem Jahr hat der VDS an der Leipziger Buchmesse teilgenommen. Am Stand in Halle 4 konnte er viele Sprachinteressierte und auch Autoren begrüßen. Immer wieder bildeten sich Menschentrauben vor dem VDS-Stand. Diskutiert wurde über alle aktuellen Themen und Aktionen des VDS: Gendern, Anglizismen, die vierteljährlichen Sprachnachrichten, den wöchentlichen Infobrief, über Sütterlin und den Jungen VDS. „Die Leipziger Buchmesse ist ein perfekter Treffpunkt für alle, die Spaß am Lesen haben und sich mit sprachlichen Themen auseinandersetzen möchten“, sagt Beate Meckert, Organisatorin des VDS-Messestandes. Besonders erfreulich war das Interesse junger Messebesucher. Lehrer berichteten von ihren Erfahrungen mit Gendersprache im Klassenzimmer und mit den Kollegen. Die Besucher besorgten sich am Stand außer der Vereinszeitung Sprachnachrichten auch Informationsmaterial und Werbegeschenke wie Postkarten, Magnete und Aufkleber. Jörg Bönisch, Mitglied des VDS-Vorstands, und Holger Klatte, Geschäftsführer des VDS, haben die Tage in Leipzig begleitet. Es heißt, auch in diesem Jahr seien die Standbesucher von der Breite der Arbeit des VDS überrascht worden. „Wir haben nicht nur das Thema Gendern im Gepäck, das viele Menschen umtreibt“, bemerkte Klatte zufrieden. Der dem VDS gehörende IFB-Verlag hatte Autoren aufgeboten, so signierten Kurt Gawlitta, Max Haberich und Wolfgang Häring ihre Bücher und verwickelten Standbesucher in Gespräche. Die ersten Eindrücke von den Messetagen finden Sie auf Facebook, Instagram und TikTok – eine bildliche Zusammenfassung erscheint bald auch auf unserer Netzseite.


Deutsch als Minderheitensprache in Tschechien gestärkt

Ein historischer Moment für die deutsche Sprachminderheit in Tschechien: Ende Februar hat sich die Tschechische Republik dazu verpflichtet, Teil III der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen auf Deutsch in vollem Umfang auf acht Landkreise anzuwenden, wo Deutsch vor dem 2. Weltkrieg gesprochen wurde und wird. Die Sprachencharta verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, den Gebrauch ihrer angestammten Minderheitensprachen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu fördern. Sie gilt in unterschiedlichem Umfang für Deutsch, Mährisches Kroatisch, Polnisch, Romanes und Slowakisch. „Damit lässt sich an die Tradition der früheren Deutschen Universität Prag sowie der Deutschen Technischen Hochschulen in Prag und Brünn anknüpfen“, schreibt das Landesecho. Mit der Ratifizierung der Sprachcharta müssen 35 Fördermaßnahmen umgesetzt werden, dazu gehören zweisprachiger Unterricht an allen öffentlichen Schulen und Kindergärten, Deutsch als Wahl-Unterrichtssprache an Universitäten sowie Fernseh- und Hörfunksendungen auf Deutsch. Die Verpflichtungen gelten für die Kreise Eger, Karlsbad, Falkenau (alle in der Region Karlsbad), Reichenberg (Region Reichenberg), Aussig (Region Aussig), Krummau (Region Südböhmen), Troppau (Region Mähren-Schlesien) und Zwittau (Region Pardubitz). Sie wurden stellvertretend für das größere angestammte deutsche Sprachgebiet in Böhmen, Mähren und Schlesien ausgewählt. (landesecho.cz)


Nachrichten bald umgangssprachlicher

Die Nachrichten sollen „sprechsprachlicher“ werden, verkündete der ARD-aktuell-Chefredakteur Marcus Bornheim, der die ARD-„Tagesschau“ verantwortet. Er ging darauf ein, dass sich das Publikum eine „Sendung auf Augenhöhe“ wünsche und die Nachrichten künftig umgangssprachlicher verfasst werden sollen. Konkret bedeute dies weniger bis keine fremden Wörter, keine komplizierten Sätze und auch keine Akademikersprache. Birgit Schmid hinterfragt in ihrem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) diese gewünschte Nähe zum Publikum. Zwar könne man bei Themen wie Krisen und Kriegen auch weiterhin kaum im umgangssprachlichen Ton berichten, jedoch sollen die „mundartlich gefärbten Wörter“ eine Verbundenheit zum Publikum ausdrücken. Neben der vereinfachten Sprache sei laut Bornheim auch ein neues Nachrichtenstudio geplant. „Dieses solle „kein reines Fernsehstudio“ mehr sein. Birgit Schmid vermutet, dass das Sprecherpult bald abgeschafft werde, um dem Publikum nicht nur sprachlich, sondern auch visuell näher zu kommen. Schmid erklärt diese „erzwungene Nähe“ zum Publikum als „anbiedernd und aufdringlich“. Eine nüchterne, unaufgeregte Sprache in den Nachrichten werde von vielen Leuten geschätzt, und das Wechseln in die „Sprechsprache“ bringe eine emotionale Färbung mit sich. Der Sinn einer Nachrichtensendung stecke in der Informationszufuhr und nicht in einer Vorgabe von Gefühlen oder in „Vereinnahmungsversuchen eines kumpelhaften Sprechers“. (nzz.ch)


2. Gendersprache

Genderverbot in Bayern

„Wir in Bayern werden das Gendern in Schule und Verwaltung untersagen“, hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Dezember angekündigt, seine Regierung hat nun Wort gehalten: Gendersonderzeichen wie Sternchen, Unterstrich, Doppelpunkte usw. sind ab sofort in Schulen, Hochschulen und Behörden verboten. „Sprache muss klar und verständlich sein“, betonte der Chef der Bayerischen Staatskanzlei Florian Herrmann erneut. Das Verbot diene auch dazu, Diskursräume in einer liberalen Gesellschaft offenzuhalten. Nach Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ist Bayern damit das vierte Bundesland, das Gender-Sonderzeichen in der amtlichen Sprache untersagt. Der VDS-Vorsitzende Walter Krämer kommentiert in der Neuen Zürcher Zeitung: „Markus Söder hat ein klares Signal an den Rest der Republik gesendet: Sprache muss ideologiefrei und verständlich bleiben.“ Die Gesellschaft für deutsche Sprache (Wiesbaden) begrüßt das Genderverbot. (nzz.ch, stuttgarter-zeitung.de)


Volksinitiative in Niedersachsen

Seit dem 7. März gibt es eine weitere Volksinitiative gegen Gendersprache. Die Initiatoren der Volksinitiative in Niedersachsen erklären: „Wir möchten, dass in Behörden, Schulen, Universitäten und öffentlich-rechtlichen Medien keine Gendersprache benutzt wird. Dazu gehören insbesondere Sonderzeichen wie Sternchen, Doppelpunkte oder das Binnen-I. Diese Formen missachten die deutschen Rechtschreibregeln. Deutliche Mehrheiten in der Bevölkerung lehnen Gendersprachformen ab.“ Damit sich der Niedersächsische Landtag überhaupt mit dem Thema befasst, müssen nun binnen eines Jahres 70.000 Unterschriften gesammelt werden. (regionalheute.de, stoppt-gendern-in-niedersachsen.de)

3. Sprachspiele: Phrasen der Neuzeit

Feste und unfeste Zwillingsformeln

Zu den beliebtesten Zwillingsformeln des Gutsprechs gehören das pädagogische Fordern und Fördern und das umwelt- und sozialpolitische schützens- und schätzenswert. Man findet sie auch vertauscht: fördern und fordern, schätzens und schützenswert. Daher stellt sich die Frage, warum sie vertauschbar sind, während andere Zwillingsformeln (mit Kind und Kegel, Hänsel und Gretel, Hass und Hetze) fest sind und nicht, jedenfalls nicht ohne aufzufallen, umgestellt werden können (vgl. Katharina hat, in ihrer besonderen Weise und Art, wieder gelogen). Zwillingsformeln lassen sich untersuchen hinsichtlich ihrer inneren Folgerichtigkeit (Trial and Error), hinsichtlich der zeitlichen Folge (Blitz und Donner, Geburten- und Sterberate), hinsichtlich des Einhaltens von Behaghels Gesetz der wachsenden Glieder (mit Kind und Kegel) oder hinsichtlich des Wohlklangs (Totem und Tabu). Es gibt aber Zwillingsformeln, die Behaghels Gesetz widersprechen, und außerdem gibt es feste Zwillingsformeln, die keine Binnenlogik aufzuweisen scheinen und die möglicherweise nur unumstellbar sind, weil sie sehr alt sind und sich ihr Gebrauch verfestigt hat: Yin und Yang, Adam und Eva, Maria und Josef, über Stock und Stein usw. Formeln wie Hoch- und Tiefbau lassen sich wiederum nicht über ihr Alter oder durch ihren traditionellen Gebrauch erklären, auch nicht über eine Binnenlogik (eher würde man unten zu bauen anfangen, wenn man hoch hinaus will). Wie sich Zwillingsformeln im Laufe der Zeit bilden, kann man sogar nachvollziehen: Der Ausdruck „Menschen- und Kriegsmaterial“ des Ersten Weltkrieges hatte zuvor nur Menschenmaterial, das Kriegsmaterial wurde dann angeschlossen (vgl. Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus, 1964, S. 130 ff.). Eine feste Prägung wie die Länderbezeichnung Trinidad und Tobago lässt sich schwerlich eindeutig rekonstruieren (Erstbenennung durch Kolumbus, Leserichtung der Inseln oder Erstnennung der Hauptinsel?). Die politisch korrekte Doppelform Lehrerinnen und Lehrer bzw. Lehrer und Lehrerinnen ist noch unfest (umstellbar). Hier kann man aber annehmen, dass sich die Erstnennung des Femininums aufgrund der Bevorzugung der Frau in Texten durchsetzen wird. Als Zwillingsformel können wir auch Ausdrücke ansehen, die nicht mit und verbunden sind: Jeder Topf findet einmal seinen Deckel. Festigkeit lässt sich bei diesen Ausdrücken durch verschiedene Stilmittel erreichen, etwa durch morphemische Bindemittel, die vor allem scharf gegenüber gestellte Begriffe verbinden: __Ab__stand ist neuer __An__stand (Corona-Slogan) {oppositionelle Präfixe, gleicher Wortstamm}, __Million__en sind stärker als _Million_äre (Ramelow über Musk): gleicher Wortstamm. Eine scharfe Gegenüberstellung auch hier: Verwertung ist gut – Vermeidung ist besser. In diesen letzten beiden Beispielen ist die Steigerung das Sortierungsmittel, das die Teile unverrückbar macht. Aber auch bloße gleiche Teile schaffen Festigkeit. Beim feministischen Slogan Nein heißt nein, in der der tautologische Inhalt nur durch die Bekräftigung sinnhaft gemacht werden kann, haben wir das Verb als Gleichsetzer und zwei gleiche Partikel, deren Umstellung nichts ändert. Fester geht’s nicht.

Myron Hurna

Der Autor (geboren 1978) promovierte in Philosophie über das Thema moralische Normen. Er schrieb mehrere Bücher über die politische Rhetorik, besonders über die Rhetorik des Holocaustvergleichs und über die politisch korrekte Sprache (Zensur und Gutsprech). Sein neues Buch Amoklauf am offenen Lernort wird bei Königshausen & Neumann erscheinen.


4. Kultur

Erfinder des „Unwortes des Jahres“ gestorben

Der Jury des „Unwortes des Jahres“ gehörte der Frankfurter Germanist Horst Dieter Schlosser schon seit 2010 nicht mehr an, aber er hatte die Unwort-Aktion 1991 erfunden. Bis 1993 war die jährliche Unwort-Wahl eine Veranstaltung der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden. Als aber 1993 der Ausspruch „kollektiver Freizeitpark“, eine sozialpolitische Wunschvorstellung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, auf die Kandidaten-Liste für das Unwort gelangte, warf das Bundeskanzleramt der Unwort-Jury Unwissenschaftlichkeit vor. Die GfdS fürchtete um Bundeszuschüsse. Von da an war die Wahl des „Unwortes des Jahres“ eine selbständige sprachkritische Angelegenheit der Germanisten der Philipps-Universität Marburg. Ende Februar ist Horst Dieter Schlosser im Alter von 86 Jahren gestorben. (stern.de)


Zornige Autorin

„Ich finde die deutsche Sprache wunderschön, obwohl sie nicht meine Muttersprache ist. Ich liebe, wie präzise sie ist, wie genau man sich darin ausdrücken kann.“ Mirrianne Mahn, deutsche Schriftstellerin aus Kamerun im Interview mit der taz, worin es nicht nur um ihren Debütroman „Issa“ geht. (taz.de)


5. Soziale Medien

Laden als U-Bahnhof

Im keineswegs nur englischsprachigen Berlin wurde jetzt ein Geschäft filmisch auf Instagram vorgestellt. Der Besuch lohnt sich schon wegen des pfiffigen Umgangs mit der in Berlin noch nicht minderheitlichen deutschen Sprache. Um Pfandflaschen abzugeben kommt zur Pfandhäuser Allee, Hochprozentiges findet man bei Berlin-Pegel. (instagram.com/berlinlive.de)


6. Kommentar

Fade Entschuldigung

Da fast alle, die den Infobrief produzieren, bei der Leipziger Buchmesse und daher abgelenkt waren, fällt diese Ausgabe des Infobriefs etwas mager aus.


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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