Infobrief vom 26. September 2020: Gendersprache: Pro und Contra

1. Presseschau

Gendersprache: Pro und Contra

Bild: Rainer Sturm / pixelio.de

Der VDS-Vorsitzende Prof. Walter Krämer weist in einem „Pro & Contra“ im Magazin Cicero auf die Missverständnisse beim Thema „Gendern“ hin. Die Forderung nach Gleichberechtigung werde keineswegs in Frage gestellt, diese sei ein richtiges und wichtiges Ansinnen. Dennoch sei die Veränderung der Sprache von außen nur ein Alibikampf. Als Kollateralschaden verunstalte er die gewachsene deutsche Sprache. Die Grammatik arbeite wie ein Uhrwerk, Eingriffe in ihre Feinmechanik durch das Sprachgendern hätten weitreichende Folgen auf den ganzen Satz, nicht nur ein einzelnes Wort.

Als Antwort auf Krämers Kommentar antwortete die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch. Sie kritisiert, dass das als Argument angeführte generische Maskulinum dafür sorge, dass die Frau zur Abweichung von der Norm werde: „Die Frau ist nicht der Rede wert. Die deutsche Männersprache versteckt die Frau besser als jede Burka.“

Nachdem der VDS kürzlich einen Brief an die Mitglieder der Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Sender geschickt hatte, berichtet nun auch das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) darüber. Der VDS hatte gefordert, auf das mit einem Glottisschlag gesprochene Gendersternchen zu verzichten, da dies nur die feminine Form hörbar mache und damit die männlichen Zuschauer explizit ausschließe. Vor allem im Deutschlandradio komme diese Praxis fast durchgängig vor, so Krämer im Exklusivinterview mit dem RND: „Claus Kleber versucht es, schafft es aber nur uneinheitlich, weil er vermutlich selbst merkt, dass sich das schief anhört. Dito Anne Will.“ Das Projekt Genderleicht, eine Initiative des Journalistinnenbundes, bezeichnet die Beschwerde des VDS als „Aktionismus mit breiter Öffentlichkeitswirkung und falschem Adressaten“. Der Sprachwandel käme aus der Mitte der Gesellschaft. (cicero.de, cicero.de, rnd.de)


Deutsch in Slowenien

In Slowenien gaben bei der Volkszählung 2002 noch 1.628 Personen an, Deutsch als Muttersprache zu sprechen. Sie gehören einer kleinen deutschen Minderheit an, die seit dem Mittelalter existierte und durch Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu ausgelöscht wurde. Bis heute sehen sich die Angehörigen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit Diskriminierungen ausgesetzt, besonders die Gottscheer in der Krain. Verboten ist Deutsch nicht, allerdings gab es in der Vergangenheit regelmäßig Unmut in der slowenischen Bevölkerung, wenn es zum Beispiel zweisprachige Tafeln an Gedenkstätten oder Kirchen gab. Der Europarat hat Slowenien nun aufgefordert, Deutsch offiziell als Minderheitensprache anzuerkennen. Die slowenischen Behörden sollten den Dialog mit den Vertretern der deutschen, aber auch der serbischen und kroatischen Sprache aufnehmen, „um ihren Schutz im Rahmen der Europäischen Charta (für Regional- und Minderheitensprachen) zu verstärken“. Es bestehe „ein klarer Bedarf“ in der slowenischen Gesellschaft, das Bewusstsein für Regional- und Minderheitensprachen sowie für ihre Geschichte und Kultur im allgemeinen Bildungswesen und in den Medien zu schärfen. Mit der Anerkennung als Minderheitensprache würde auch eine bessere Förderung möglich. Unter anderem könnten Bildungsmodelle für Schulen entwickelt werden, außerdem sollte die Ausstrahlung lokaler Radio- und Fernsehprogramme erleichtert werden. (epochtimes.de, spiegel.de)


Gender-Leitfaden für Behörden

Der Berliner Senat hat einen Leitfaden zur „diversitäts-gerechten Sprache“ für seine Landesbediensteten ausgegeben. Demzufolge sollen bestimmte Wörter vermieden werden, da sie mutmaßlich Menschen ausgrenzen können, so die Berliner Zeitung. Der Leitfaden sorgt jedoch für Befremden: „Ausländer“ wird zu „Einwohnende ohne deutsche Staatsbürgerschaft“; Menschen mit Migrationshintergrund sind nach dieser Empfehlung „Menschen mit internationaler Geschichte“. Auch Begriffe wie „anschwärzen“ oder „schwarzfahren“ seien nicht mehr zeitgemäß, so der Leitfaden. Gunnar Schupelius schreibt in seinem Kommentar in der BZ: „Wir sind auf dem Weg in den Erziehungsstaat. Eine Clique von Politikern sorgt dafür, dass wir glauben, was sie für richtig halten, und uns so verhalten, wie es ihrer politischen Ideologie entspricht“. Auch Michael Hierholzer regt sich in der FAZ über „Gender-Furor in der Stadtverwaltung“ auf. Die Stadt Frankfurt hat gendersprachliche Schreibweisen eingeführt, „verbiegt Grammatik und Semantik, gebiert stilistische Ungeheuer“. Schuld am Gendersternchen sei (ursprünglich) der Philosoph Gottfried Wilhelm Hegel, der vor 250 Jahren geboren wurde. Seine „Phänomenologie des Geistes“ und die Erkenntnis, dass sich in der Sprache die Welt bildet, sei die Grundlage für soziologische Denkschulen, die gesellschaftliche Zustände über die Sprache zu verändern versuchen. Verwaltungshandeln oder eine politische Überkorrektheit, die sich vom alltäglichen Sprachgebrauch weit entfernt, habe aber mit dem „lebendigen Geist“ Hegels nichts zu tun, so Hierholzer. (berliner-zeitung.de, bz-berlin.de, faz.net)


Klimawandel in der Sprache

„Das sind keine Waldbrände, das sind Klimabrände“, sagt Jay Inslee, Gouverneur des Staates Washington, zu den aktuellen Bränden in den USA. Welche Formulierung man verwende, sei bedeutend für das Problembewusstsein der Bevölkerung. Laut Inslee impliziere der Begriff „Waldbrände“ natürliche Brände. Wenn man aber von „Klimabränden“ spreche, werde das schlimme Ausmaß der Brände mit der menschengemachten Erderwärmung in Verbindung gebracht und so in den Köpfen der Menschen verankert. Ende 2019 tauchte bereits ein ähnlicher Begriff in der Öffentlichkeit auf. Die australische grüne Senatorin Sarah Hanson-Young hatte sich aus Ärger über die verharmlosende Berichterstattung gegen den geläufigen Ausdruck „Buschfeuer“ ausgesprochen, stattdessen solle man die Brände „Klimafeuer“ nennen. „Sie als Klimafeuer zu bezeichnen, macht es absolut und kristallklar. Es ist wichtig, dass es da keine Missverständnisse gibt.“ Auch zum Begriff „Klimawandel“ gibt es immer wieder Debatten. Er spiegele nicht den Ernst der Lage wider, kritisierte die Aktivistin Greta Thunberg im vergangenen Jahr. Man solle lieber von einer Klimakatastrophe, einer Klimakrise oder einem Klimanotstand sprechen. (dw.com)


2. Unser Deutsch

outen

Wenige Wörter wurden so schnell aus dem Englischen aufgenommen und ins Deutsche integriert wie outen. Englisch to out wird im Oxford English Dictionary (2011) so angeführt: „informal reveal the homosexuality“, zu deutsch: ‚informell Homosexualität enthüllen‘. So wurde es Anfang der 90er Jahre auch im Deutschen gebraucht. Doch schon 1994 verzeichnet das Anglizismenwörterbuch eine Ausweitung auf die intransitive Verwendung zu sich outen ‚sich als schwul bekennen‘. Inzwischen hat das neue Verb auch seine Bedeutung erweitert. Man kann sich als Toupet-Träger outen oder – ernster – von seiner Krebserkrankung berichten. Immer geht es um ein Öffentlichmachen einer persönlichen Eigenschaft, die bisher verborgen war. Das Outen befreit die Betroffenen von jahrelangem Verstecken und nimmt der Sache den Tabugeruch.

Das Verb hat in dieser speziellen Bedeutung wenig Konkurrenz im deutschen Wortschatz. Es nimmt eine Zeitströmung auf, es steht für ein offenes Lebensgefühl, für die Überwindung von Vorurteilen, nicht nur des berüchtigten § 175, der die Homosexualität unter Strafe stellte und 1994 abgeschafft wurde. Auch die Integration in Lautung, Schreibung und Flexion gelang problemlos. Entlehnte Verben erhalten automatisch die schwache Konjugation, im Präteritum: er outete sich, im Perfekt: er hat sich geoutet – ähnlich wie boxen, boxte, geboxt (aus englisch to box). Lautlich ist die Graphie <ou> durch Wörter wie Couch, Foul, Outsider, outdoor längst als Zeichen für /au/ etabliert, zumals es ja einen Diphthong /ou/ im Deutschen gar nicht gibt.

Zweierlei können wir feststellen: Mit der Ausweitung seiner Bedeutung – über den ursprünglichen, dem Englischen entlehnten Gebrauch hinaus – sowie der Eingliederung in die deutsche Konjugation, ist das Verb outen zu einem eigenständigen deutschen Wort geworden. Zwar zeigt es in Lautung und Schreibung noch Merkmale seiner Herkunft, weshalb wir es zu den Lehnwörtern zählen. Aber weil der Diphthong /au/ in vielen Wörtern auch <ou> geschrieben werden kann, ist durch die Entlehnung sozusagen huckepack auch unsere Rechtschreibung erweitert worden. Am Beispiel von outen erkennen wir Alltagserscheinungen des Sprachkontakts, etablierte Verfahren, Lehnwörter im Deutschen heimisch zu machen. Damit haben wir im übrigen jahrhundertelange Erfahrung: mit der Integration von lateinischem Wortschatz ins Deutsche.
Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Ratgeber für Leichte Sprache

Ab dem 23. September sind Städte und Gemeinden dazu verpflichtet, in ihren Netzauftritt eine Version in Leichter Sprache einzubinden. Auch Anträge und Formulare sollen künftig in Leichter Sprache angeboten werden. Das Magazin Kommunal hat dazu einen Artikel veröffentlicht, in dem Formulierungsratschläge gegeben werden. Das Schreiben in Leichter Sprache beginnt bei einzelnen Begriffen: So ließe sich zum Beispiel „genehmigen“ durch „erlauben“ ersetzen oder „öffentlicher Nahverkehr“ durch „Bus und Bahn“. Auch Anglizismen seien nicht ideal, statt vom „Workshop“ könne man einfach von einer „Arbeitsgruppe“ sprechen. Ebenfalls vermeiden sollte man negierte Sätze, da das Wörtchen „nicht“ schnell übersehen wird. Statt „Die Straße ist nicht gesperrt“ sei „Die Straße ist frei“ geeigneter. Als grundlegende Orientierung gilt: Einfache Wörter nutzen, Fremdwörter meiden und für jede Information einen einzelnen Satz bilden. Außerdem sei es von Vorteil, für eine Sache stets dasselbe Wort zu verwenden; Feuerwehrleute sollten nicht im nächsten Absatz zu „Einsatzkräften“ werden, sondern Feuerwehrleute bleiben. Das vereinfacht das Verstehen für Menschen, die auf Leichte Sprache angewiesen sind. (kommunal.de)


Kinofilm „Persischstunden“

Er ist Jude, gibt sich aber als Perser aus, um im KZ zu überleben. So beginnt der Kinofilm „Persischstunden“, der seit dieser Woche im Kino zu sehen ist. Der Jude Gilles soll dem deutschen Lagerkommandanten Koch Persisch beibringen, denn dieser will nach dem Krieg in Teheran ein deutsches Restaurant eröffnen. Dafür braucht er die entsprechenden Sprachkenntnisse. Da Gilles aber kein Farsi spricht, denkt er sich Wörter aus, die er Koch präsentiert. Das gestaltet sich schwieriger, als er gedacht hat, denn nicht nur sein Schüler muss sich die fremden und erfundenen Vokabeln merken – auch Gilles selbst, damit er nicht als Betrüger auffliegt. (sueddeutsche.de, youtu.be)


4. Berichte

Umfrage zu Verbbedeutungen

Wir weisen noch einmal auf die sprachwissenschaftliche Umfrage zur Bedeutungs-Hierarchie der Verben im Deutschen hin. Das Forschungsprojekt von PD Dr. Dr. Ulrich Frey (Justus-Liebig-Universität Gießen) will herausfinden, wie sich Bedeutungen von Verben unterscheiden. Dr. Frey schreibt: „Vielen Dank an diejenigen, die bereits an der Umfrage teilgenommen haben! Leider haben weniger teilgenommen, als wir benötigen, um eine robuste statistische Auswertung vornehmen zu können. Daher möchten wir alle diejenigen bitten, die noch nicht teilgenommen haben, sich diese 10-15 Minuten Zeit zu nehmen, um uns zu helfen. Es ist für den wissenschaftlichen Erfolg dieses Projektes sehr wichtig, dass Sie, die Mitglieder des Vereins Deutsche Sprache, uns unterstützen, da die Umfrage genau auf Sie und Ihre besonderen Fähigkeiten zugeschnitten ist. Übrigens: auch diejenigen, die bereits teilgenommen haben, können noch einmal mitmachen – denn die in der Umfrage benutzten Wörter sind jedes Mal neu. Einige Fragen sind recht knifflig – und eine echte Herausforderung für Ihr Sprachgefühl! Wir freuen uns auch über Ihre Rückmeldungen!“
Außerdem noch zwei Anmerkungen:
1. Lassen Sie sich bitte nicht von der Du-Anrede in der Umfrage irritieren – diese war durch die verwendete Datenbank bereits vorgegeben.
2. Die Mehrdeutigkeit der deutschen Sprache soll durch die Ergebnisse des Forschungsprojektes nicht in Frage gestellt werden.

Hier geht es zum Fragebogen: ulrichfrey.eu.


5. Denglisch

Fremdwortallergie

Fremdwörter und Viren haben einige Gemeinsamkeiten: Sie kommen oft von weit her. Man kann sich ganz schlecht dagegen wehren. Und immer wieder stellt man sich die Frage, wozu die Welt sie eigentlich braucht. Das fragt sich der Retter der deutschen Sprache in der MDR-Kolumne „Deutsch als Fremdsprache“ angesichts des englischen Wortes superspreader, bei dem der gemeine Sachse höchstens „des Huberts’ Bretter“ verstehe. Als deutsche Entsprechung wird Superverbreiter vorgeschlagen. (mdr.de)


6. Termine

29. September, Regionen 10-16 (Berlin und Potsdam)
„Nachtwanderung“ in Berlin (Teilnahme nur für Mitglieder)
Zeit: 20:30 – 22:30 Uhr
Ort: Weltzeituhr, Alexanderplatz 1, 10178 Berlin

30. September, Region 03 (Cottbus)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel Zur Sonne, Taubenstr. 7, 03046 Cottbus

8. Oktober, Region 28 (Bremen)
Treffen der Sprachfreunde Bremen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Luv, Schlachte 15, 28195 Bremen

15. Oktober, Region 04 (Leipzig)
Besuch des Reclam-Museums
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Reclam-Museum, Kreuzstraße 12, 04103 Leipzig

15. Oktober, Region 44 (Bochum, Dortmund, Herne)
Lesung von VDS-Mitglied Horst Hensel aus seinem aktuellen Romanprojekt
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: literaturhaus.dortmund, Neuer Graben 78, 44139 Dortmund


IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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